Kapitel 42 - im Fieberwahn


 Donnerstag, 21. Mai 2015

 

Mit einem erleichterten Seufzer beendete Rin das Telefon, welches sie soeben mit der Schülersprecherin geführt hatte. Bereits gestern hatte sie Ruri versucht zu erreichen, aber da diese von ihrem Vater durchweg zu irgendwelchen Routineuntersuchungen geschoben wurde, verpassten sich die beiden Mädchen immer wieder.

Heute erwischten sie sich endlich und konnten zumindest kurz sprechen. Der Eisblauhaarigen ging es soweit gut und am liebsten wäre sie sofort wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden, hätte ihr Vater da nicht auch ein Wörtchen mitzureden.

Schlussendlich war aber klar, dass Ruri spätestens am Wochenende wieder zurück in ihren gewohnten Alltag kehren durfte. Kaum war dies zur Sprache gekommen, meinte die Blauhaarige nur, dass sie ihre Freundin abholen würde. Zwar lehnte sie dankend ab, da sie keine Umstände bereiten wollte, aber Rin war natürlich stur wie eh und je. Obwohl sie in erster Linie ihre Sorge in den Vordergrund schob, ging es der Oberschülerin eigentlich nur darum die Schülersprecherin so schnell wie möglich mit all den offenen Fragen zu bombardieren, welche durch den wirren Dungeon aufgekommen waren. Dazu reichte ein kurzes Telefonat nie und nimmer aus. Außerdem erhoffte sie sich noch einmal mit Saijiro zu sprechen. Der Vater kannte Rins verstorbene Mutter Rika besser als ihr lieb war. Zudem war er der erste in ihrem Umfeld, der bewusst über sie gesprochen hatte. Sowohl ihr Bruder, als auch ihr Vater schwiegen das Thema tot. Eigentlich hatte sich das Mädchen auch schon damit abgefunden nie etwas Genaueres über ihre eigene Mutter in Erfahrung zu bringen, aber diese Chance musste sie nun einfach ergreifen.

Trotz der mit Arbeit überhäuften Woche, hüpfte sie nun fröhlich umher, während sie ihren Weg Richtung Suzuki-Anwesen fortsetzte. Die Schule war für heute geschafft und von ihrer To Do Liste wollte sie nun einige Aufgaben erledigen, welche den Standortwechsel voraussetzten.

Im Büro angelangt, huschte ihr ein kurzes „Hallo“ über die Lippen, womit sie Kuro begrüßte, welcher ziemlich vertieft auf seinen PC-Bildschirm starrte. Eine Antwort blieb jedoch aus, was der Jüngeren auch recht war. Wer weiß was ihm sonst wieder einfallen würde, um sie zu ärgern.

Kurz überlegte sie ihn doch noch zu fragen warum er die letzten beiden Tage nicht in der Schule aufgetaucht war, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Es war normal, dass er hin und wieder fehlte und sich mit ihm zu unterhalten, war gewiss nicht in ihrem Sinne.

Noch eine ganze Weile saß der Schwarzhaarige regungslos und starrend am Schreibtisch, bis es dem Mädchen schließlich unheimlich wurde. Normalerweise bewegte er sich hin und wieder, tippte oder führte zumindest die Maus, aber dieses Mal tat er einfach nichts. Dass er ein Video schaute war auch ziemlich unwahrscheinlich, denn nirgends kam Sound aus den Lautsprechern und keiner würde über einen so langen Zeitraum ein Stummvideo anschauen.

„K-Kuro?“, hakte seine Assistentin vorsichtig nach. Eine Reaktion blieb auch dieses Mal aus. Noch einmal mit Nachdruck erschallte daraufhin sein Name durch den Raum. Wieder keine Antwort. Es war beinahe so, als sei er nur körperlich anwesend.

Da Rin sich langsam wirklich sorgte und mittlerweile sogar ein wenig Angst bekam, schritt sie an den jungen Mann heran und rüttelte ihn an der Schulter. Ein plötzliches Zucken ging von ihm aus und er fuhr erschrocken mit dem Kopf herum: „Seit wann bist du denn da?!“ „Relativ lange schon…?“, zögerte die Blauhaarige mit ihrer Antwort, da seine völlig verwunderte Frage leichte Selbstzweifel in ihr aufwarfen.

Was war hier bloß los? War sie vielleicht ausversehen unsichtbar gewesen? Aber sie hatte doch auch gegrüßt und anschließend mit den Akten hantiert. Das wäre doch jedem Blinden aufgefallen.

Ein dicker Schweißtropfen rann plötzlich ziemlich auffällig über das Gesicht des Suzuki-Erben, während er ungewöhnlich schwer atmete.

Ohne groß nachzudenken legte Rin wie automatisiert ihre Hand auf seine Stirn: „Du glühst ja richtig! Bist du etwa krank?!“

Tatsächlich musste die Oberschülerin nur noch Eins und Eins zusammenzählen, um zu bemerken, dass Kuros Zustand alles andere als gesund war. Auch seine Wangen waren leicht gerötet und sein Reaktionsvermögen glich dem einer Schildkröte.

„Warum hockst du hier?!“, meckerte das Mädchen besorgt, „Du gehst jetzt sofort ins Bett und ruhst dich aus!“ „Mir geht’s gut. Kümmere dich um deinen Kram“, kam es leiser als gewohnt aus dem Älteren. „Nein!“, zerrte Rin an seinem Arm, „Du stehst jetzt sofort auf und gehst nach oben!“ „Lass mich los“, wurde sein Atem noch ein wenig schwerer.

Seine Worte ignorierend, zog und jammerte die Blauhaarige weiter, bis er endlich aufstand. Trotz allem war das für ihn noch kein Grund nachzugeben.

„Siehst du? Mir geht’s gut“, ging er zur Demonstration ein paar Schritte, bevor er zusammensackte und mit der Schulter keuchend am Aktenschrank lehnte. „Ja. Super. Sehe ich“, seufzte das Mädchen, „Hör endlich auf mit dem Blödsinn und komm mit.“

Erneut zerrte sie an Kuro, damit er wieder auf die Beine kam und sie ihn irgendwie zu seinem Bett eskortieren konnte. Blöderweise war Rin eindeutig zu schwach, um einen so viel größeren Kerl hochzubekommen, geschweige denn zu stützten.

„Warte hier“, befahl sie sinnloserweise und verließ eilig den Raum. Es war ja nicht so, als würde er es aktuell noch selbstständig schaffen davonzulaufen.

Es verstrich keine ganze Minute, da eilte auch schon Joel ins Büro und schnappte sich mit einem tiefen Seufzer den jungen Mann, welchen er ohne Umschweife in sein Bett beförderte. Eines der Dienstmädchen kam kurz darauf mit Medizin und einem kalten Lappen hinterher.

Nun konnte Rin wieder aufatmen. Sie hatte alles in ihrer Machtstehende getan, damit der Suzuki-Erbe gut versorgt werden würde. Zügig ging sie daraufhin zurück an ihre Arbeit.

 

Es war bereits nach 22 Uhr, als die Blauhaarige endlich mit ihrem vorgenommenen Pensum fertig war. Gähnend streckte sie sich, während sie das Büro endlich verließ und mitten in der Empfangshalle wieder zum Stehen kam. Mit dem Blick zur Treppe nach oben war sie in Gedanken versunken, als plötzlich Shizuka an ihr vorbeilief und sich vor dem Aufgang noch einmal zu ihr umdrehte: „Du machst dir Sorgen, nicht wahr?“ Ertappt zuckte die Oberschülerin zusammen, stritt es jedoch ab: „Eh… n-nein. Ich hab nur… also… ähm…“ „Hilfst du mir noch kurz bevor du gehst?“, unterbrach die Rosahaarige das peinliche Gestotter mit einem freundlichen Lächeln.

Natürlich konnte Rin nicht einfach nein sagen, da sie dem Dienstmädchen selbst das ein oder andere zu verdanken hatte und sie im Grunde auch Kollegen waren.

„Klar helfe ich dir“, tapste das Mädchen hinter ihr die Treppe nach oben, „Bei was brauchst du denn Hilfe?“ „Erkläre ich dir dann“, meinte sie nur.

Eigentlich war fast schon klar um was genau es ging, aber die Blauhaarige stand mal wieder mit beiden Beinen fest auf dem Schlauch. Erst als sie vor Kuros Schlafzimmer zum Stehen kamen und die Ältere mit einem Klopfen eintrat, realisierte Rin, was Sache war.

Beim besten Willen wollte sie nicht in diesen Raum gehen und nach dem Erkrankten sehen. Da sie ihrer Kollegin nun aber schon zugesagt hatte, konnte sie auch nicht einfach wieder ihre Meinung ändern.

Wie angewurzelt blieb Rin vor der Tür stehen und überlegte panisch, wie sie der Situation entfliehen konnte. Nichts wäre schlimmer, als dass der junge Mann am Ende auf die Idee kommen würde, die Blauhaarige würde sich um ihn sorgen. Es widerstrebte ihr völlig, ihm gegenüber auch nur einen Hauch von Interesse zu zeigen. Immerhin war auch sie für ihn nur ein Mittel zum Zweck, das er nun mal ertragen musste.

Natürlich war es menschlich ein wenig Sorge zu zeigen, wenn jemand vor der eigenen Nase zusammenbrach, aber hier war die Sache nun anders. Es war den Bediensteten bekannt und sie kümmerten sich um ihn. Rin hatte hier also nichts mehr verloren. Vor ein paar Stunden war die Sachlage jedoch anders und sie hatte gar keine Wahl als zu helfen.

Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und hier und da klangen sie auch für die Blauhaarige ziemlich wirr. Sie war sich unsicher, ob ihre Beweggründe Sinn ergaben. Trotz allem war sie sich in einer Sache sicher: Nicht in dieses Zimmer zu gehen.

„Rin-chan?“, wandte sich das Dienstmädchen zu ihr um, „Kommst du?“ „Äh, ähm… j-ja…“, stotterte sie erneut und schritt schnell auf Shizuka zu, da diese sie bereits mit einer Geste aufforderte die Wasserschüssel zu nehmen.

„Bitte wechsle das Wasser aus und spül einmal den Lappen ein wenig ab“, gab die Rosahaarige der Oberschülerin eine sinnvolle Aufgabe, woraufhin diese im Badezimmer verschwand.

Glück gehabt. Ihr Mitschüler schief und hatte sie nicht bemerkt. Hoffentlich würde das auch so bleiben. Irgendwas verriet ihr allerdings, dass die Chancen nicht sehr gut standen.

Schnell kippte sie das benutzte Wasser weg und füllte frisches kaltes in die kleine Wanne. Wieder völlig in Gedanken, wrang sie nun mehrfach das nasse Stück Stoff aus, um mögliche Verschmutzungen auszuwaschen.

„Was mache ich hier eigentlich?“, murmelte sie nur leise, setzte ihre Arbeit aber fort.

Kurz darauf kam sie auch schon wieder mit der Schüssel in den Händen zurück ins Schlafzimmer. Dort hätte sie vor Schreck beinahe das frische Wasser fallenlassen, als sie einen oberkörperfreien Kuro im Bett sitzen sah. Prinzipiell war ihr ja schon bekannt, dass er recht muskulös war, aber ihn völlig unvorbereitet halb nackt zu sehen, kam dann doch etwas plötzlich. Dieser bemerkte das Mädchen auch, blickte sie aber nur müde an, als Shizuka ihm soeben ein sauberes Oberteil überstülpte. Unterdessen stellte die Blauhaarige die Schüssel auf den Nachttisch und wandte ihren Blick vom Geschehen ab. Sonderlich viel mehr verpasste sie jedoch nicht, denn abgesehen von dem Kleiderwechsel, wurde er nur noch aufgefordert seine Medizin zu nehmen.

Das Dienstmädchen war noch mit dem Kranken beschäftigt, als Rin die mitgebrachten Eiswürfel entdeckte. Sofort verstand sie deren Sinn und füllte sie in die Wasserschale um. Damit sie nicht komplett dumm rumstand tränkte sie den Lappen schonmal in der kalten Flüssigkeit und wrang diesen daraufhin gut aus. Shizuka bemerkte das, doch statt das entgegengestreckte Stück Stoff von Rin zu nehmen, gestikulierte sie, es ihm selbst auf die Stirn zu legen.

Unsicher wanderten ihre Augen rüber zu dem jungen Mann, welcher kaum etwas mitbekam, da er scheinbar schon wieder im Halbschlaf war.

„Danke für deine Hilfe“, lächelte das Dienstmädchen und setzte sich plötzlich in Bewegung, „Du packst das ja allein, ich muss dringend los.“ „W-warte…!“, blickte die Oberschülerin verzweifelt zur Älteren, welche soeben den Raum verlassen hatte.

Was meinte sie damit? Wohin musste sie so plötzlich und was genau packte Rin allein? Es musste doch nur noch das kühlende Tuch auf Kuros Stirn gelegt werden, oder? Oder verpflichtete sich das Mädchen nun zu kontinuierlichen Wechseln, um das Fieber schneller zu senken?

Vollkommen ratlos stand sie vor dem Bett und sah voller Zweifel zu dem jungen Mann, welcher noch immer ein relativ gerötetes Gesicht hatte und schwer atmete. Da er seine Augen geschlossen hatte und offensichtlich kaum etwas von seiner Umgebung wahrnahm, fiel es dem Mädchen sehr viel leichter ihm vorsichtig die Haare von der Stirn zu streichen, um das kühlende Mittel draufzulegen.

Kaum hatte sie dies getan, öffnete er langsam die Augen und sah recht benebelt zu seiner Assistentin. Rin konnte es sich nicht erklären, aber seine goldgelben Augen verrieten sofort, dass die Kühlung eine Linderung zu sein schien. Aber was jetzt? Sollte sie direkt gehen? Sollte sie hierbleiben und alle paar Minuten den Lappen wechseln?

„Das hat aber lange gedauert“, murmelte der Suzuki-Erbe. Die Blauhaarige verstand natürlich kein Wort: „Wie meinst du das?“ „Ich hab doch schon vorhin gesagt, dass du herkommen sollst“, meckerte er relativ geschwächt und immer noch leicht benebelt. Irgendwie konnte die Jüngere ihm aber auch nicht böse sein und entgegnete ihm in normalem Ton: „Das wusste ich nicht. Was war denn los?“ „Ich weiß immer noch nicht warum du bei dem Unwetter im Wald warst“, kam es geschwächt von dem jungen Mann.

Schon wieder sprach er das Thema an und Rin war es mehr als unangenehm darüber zu sprechen. Was sollte sie ihm antworten? Was wollte er hören? Sie selbst war an diesem Tag doch gar nicht bei klarem Verstand. Alles was zu diesem Zeitpunkt in ihrem Kopf Sinn ergab, war rückblickend absolut sinnlos.

„Wenn das alles ist was du wissen willst, dann gehe ich jetzt“, merkte sie ihn mit leicht verstimmtem Unterton an und wand sich zum Gehen ab.

Bevor sie allerding einen Schritt tat, hielt Kuro sie am Handgelenk fest. Eigentlich war es weniger ein festhalten, sondern eher eine schwache Berührung, aus welcher sie sich problemlos hätte befreien können. Wieso also blieb sie einfach starr stehen?

„Hab ich kein Recht zu erfahren warum du dich in solche Gefahr begeben hast?“, unterbrach ihn ein Hustenanfall, „Oder aber warum ich mich der Gefahr ausgesetzt habe und nun deswegen eine Erkältung habe?“

Einige lange Sekunden strichen ins Land, in welchen sich die beiden anschwiegen. Kuros nach Antworten fordernder Blick hing auf dem Rücken der Erstarrten, welche versuchte das Chaos in ihrem Kopf zu bewältigen.

Der Schwarzhaarige hatte sich gewiss nicht in dem Unwetter erkältet. Eigentlich war sich Rin ziemlich sicher, dass der eisige Dungeon dafür verantwortlich war. Oder? Sonst hätte er doch schon viel eher Erkältungssymptome aufgewiesen. Waren sie vielleicht doch schon früher zu erkennen? Wahrscheinlich hatte er sie dann aber ignoriert und somit verschlimmert. Das würde zumindest auch zu der Sturheit passen, welche er vorhin an den Tag legte und partout nicht einsehen wollte, dass er definitiv krank war.

„Schieb mir nicht die Schuld für deine Erkältung in die Schuhe“, maulte die Oberschülerin und drehte sich wieder zu ihm, „Keiner hatte dir gesagt, dass du bei diesem Wetter vor die Tür gehen solltest. Abgesehen davon glaub ich viel eher, dass es der kalte Dungeon war, der dir zugesetzt hatte. Sonst wärst du doch schon um einiges früher erkrankt.“ „Der Regen war trotzdem nicht unschuldig“, hustete er erneut, setzte sich vorsichtig auf und versuchte das Glas Wasser zu erreichen.

Während seine Assistentin ihm dabei half, kamen ihr plötzlich ganz andere Punkte in den Sinn, welchen sie sofort nachgehen musste: „Wie hast du mich überhaupt gefunden? Und warum hast du mich überhaupt gesucht?“ Nachdem der Schwarzhaarige schwermütig ein paar Schlucke getrunken hatte entgegnete er ihr: „Ich bin ja nicht blöd.“ „Ja ne… Aber auch kein Hellseher“, waren die Fragen noch immer nicht beantwortet.

Wartend hockte sich Rin schlussendlich auf den Stuhl, welcher vor dem Bett stand. Ihr Gesprächspartner plumpste wieder ins Kissen: „Momiji hatte sich Sorgen gemacht und wollte nach dir sehen. Allerdings hatte sie sich selbst eine kleine Erkältung eingefangen und dann flachgelegen. Da hat sie mich gebeten das zu erledigen.“

Überrascht sah das Mädchen zu ihm herüber. Ihr war gar nicht klar, dass ihre Kollegin in Sorge war. Nun tat es Rin fast schon leid, dass sie einfach davongelaufen war. Trotzdem erklärte das noch lange nicht wie er sie finden konnte.

„Das ist ja schön und gut, aber wie hast du mich dann überhaupt gefunden?“, forderte sie eine sinnvolle Antwort. „Muss man das logisch erklären können?“, stellte der junge Mann eine Gegenfrage, „Diese ganzen übernatürlichen Phänomene, die uns aktuell passieren kann ja auch keiner erklären. Vielleicht weiß ich ja selbst nicht genau wie ich dich gefunden habe.“

Natürlich war das gelogen, denn es war unmöglich die Nadel im Heuhaufen zu finden, wenn man nicht wusste wo man anfangen sollte zu suchen. Aber gewiss war Kuro der Letzte, der ihr erklärte, dass der Suzuki-Pin geortet werden konnte. Ehrlichgesagt überraschte es ihn auch ein wenig, dass er trotz seines vernebelten Zustandes so eine gute Ausrede finden konnte. Tatsächlich kaufte Rin ihm diese sogar ab, weshalb er wieder zu seiner ursprünglichen Frage zurückkehren konnte. Warum bloß war das Mädchen bei diesem Unwetter im Wald gewesen?

„Ich weiß es nicht“, wandte sie den Blick ab, „Wegen der Prüfung ging es mir schlecht und ich wollte einfach nur weg. Egal wohin. Und ich konnte auch an nichts anderes denken außer diesen furchtbaren Morgen.“ „Wolltest du zum Tempel?“, hakte der Suzuki-Erbe nach. „Vermutlich“, sah sie wieder zu ihm, „Von dort oben hat man einen echt coolen Ausblick.“

Ein leicht gequältes Grinsen legte sich über ihre Lippen und sie hoffte, dass ihre Antwort ausreichte, um ihn zufriedenzustellen. Natürlich war es nicht nur die vergeigte Prüfung, die sie psychisch fertigmachte. Es waren auch die Zicken, die sie an diesem Tag sogar körperlich angriffen. Aber das konnte sie ihm niemals anvertrauen. Rin wusste selbst, dass sie an der Suzuki-Akademie vollkommen fehl am Platz war. Trotzdem wollte sie dortbleiben und weiterhin Lacrosse ausüben. Mit ihrem Team kam sie ganz gut aus und hatte sogar Spaß am Mannschaftssport. Lediglich ein Mädchen zeigte aktiv, dass sie etwas gegen die Blauhaarige hatte. Wüsste Rin es aber nicht besser, würde sie behaupten, dass auch ein wenig Eifersucht im Spiel war. Alle anderen nahmen sie aber zumindest als Teammitglied an, waren aber nicht unbedingt auf eine beste Freundschaft aus. Zu Beginn waren sie noch sehr begeistert von ihr und gingen aktiv auf die Stipendiatin zu. Mit der Zeit legte sich das aber und sie war nur noch ein vorhandenes Puzzleteil, das man zwar gebrauchen konnte, dem man aber weniger Beachtung schenkte als anderen.

„Dass du nur wegen einer dämlichen Prüfung so reagierst ist trotzdem lächerlich“, äußerte Kuro sein Misstrauen. „Glaub es oder lass es. Ist mir egal“, blieb die Blauhaarige trotz allem relativ ruhig.

Lag vermutlich auch daran, dass die Äußerungen des Schwarzhaarigen durch seinen geschwächten Zustand weniger bedrohlich oder vorwurfsvoll rüberkamen.

Plötzlich wurde der Raum für eine Sekunde in grelles Licht getaucht, als sogleich ein überaus lauter Donner hinterhergrollte. Dies lies nicht nur den Älteren kurz zusammenzucken, sondern auch das Mädchen erschrak sich und stieß einen grellen Schrei aus, welchen ohne jeden Zweifel sicherlich das ganze Haus gehört hatte. Nun war auch der Schwarzhaarige wieder wacher denn je, rappelte sich auf und sah an der Bettkante vorbei hinunter auf den Boden. Dort hatte sich seine Assistentin noch während des ohrenbetäubenden Gekreisches mit dem Rücken zum Bett hingekauert, die Beine herangezogen und den Kopf weit eingegraben.

Sogleich folgte dem Gewitter auch noch ein Regenschauer und ein frisches Lüftchen zog durch die zwei offenen Fenster des Raumes.

Noch ehe der Suzuki-Erbe auf Rin eingehen konnte, wurde auch schon seine Zimmertür aufgestoßen. Genauso schnell wie sie aufging, wurde sie auch wieder ins Schloss geschmissen, während Skye wortlos hereintrat und überaus eilig unter die Decke der freien Betthälfte schlüpfte. Er kroch bis zum Kissen direkt neben dem Älteren, blieb jedoch bis über den Kopf zugedeckt.

Perplex wanderte Kuros Aufmerksamkeit demnach zum zitternden Grundschüler rechts neben ihm. Vorsichtig legte er seine Hand auf den Körper des angsterfüllten Kindes und streichelte ihn: „Es passiert schon nichts. Das Gewitter zieht vorüber.“

Der bebende kleine Körper beruhigte sich sogleich ein wenig, als es plötzlich erneut blitzte und gleichzeitig noch lauter als zuvor donnerte.

Wieder schrie die Blauhaarige laut auf und kauerte nun in der Ecke von Nachttisch und Bett. Auch Skye hatte sich so erschreckt, dass er aus der Decke heraussprang und im Schoß des Suzuki-Erben Zuflucht suchte.

Natürlich wurde dem Jüngsten die Zuflucht gewährt und der junge Mann fuhr ihm sanft durchs wuschelige Haar. Prüfend schaute er anschließend auch zur Oberschülerin rüber, nur um festzustellen, dass diese mindestens genauso große Angst hatte.

Ein Schnauben entwich dem Kranken und seine Gedanken waren ihm ins Gesicht geschrieben. Er war nicht nur von der Gesamtsituation genervt, sondern hauptsächlich von Rins unreifem Verhalten. Dass sich ein kleiner Junge vor Gewitter fürchtete, konnte er noch irgendwie tolerieren. Aber für seine Assistentin, die sogar vor wenigen Tagen bei einem solchen Unwetter noch im Wald war, konnte er kein Verständnis aufbringen.

Mit einem Seufzer plumpste er schließlich wieder zurück in sein Kissen. Er konnte nicht mehr sitzen, da ihm der Kopf noch immer so sehr dröhnte. Eigentlich wollte er nur schlafen und sich erholen.

Kaum lag er auf dem Rücken, schmiegte sich der kleine Mann an ihn und machte es sich ebenfalls bequem.

Kuros Blick wanderte jedoch noch einmal zu seiner linken Seite, wo er abgesehen vom zitternden Hinterkopf der Blauhaarigen nichts erkennen konnte. Vorsichtig legte er seine Hand auf ihren Kopf. Kurz zuckte das Mädchen zwar zusammen, beruhigte sich aber schnell wieder. Ihre Spannung legte sich so langsam und sie schloss für einen kurzen Moment die Augen, da sie plötzlich eine unheimliche Müdigkeit überkam.

 


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