Kapitel 43 - Enttarnt?


 Freitag, 22. Mai 2015

 

Herzhaft gähnend verließ Skye das Grundschulgelände. Er war nicht nur müde, sondern auch ziemlich genervt von seinen Mitschülern. Sie erschienen ihm stellenweise so unreif und kindisch. Außerdem wollte in den Pausen ständig jemand anderes mit ihm spielen und der Portalwächter sah absolut keinen Sinn darin auf Klettergerüste zu steigen, zu rutschen oder zu schaukeln. Noch weniger wollte er durch die Gegend rennen, um die anderen Schüler zu fangen oder vor ihnen wegzulaufen. Wer hatte sich diesen Blödsinn bloß ausgedacht?

Im Grunde hoffte er inständig, dass seine desinteressierte Art irgendwann auch bei dem letzten Trottel ankam und sie ihn einfach alle in Ruhe ließen.

Am liebsten hockte er in einer ruhigen Ecke und befasste sich mit seinem Horo. Wobei er noch lieber erst gar nicht in der Grundschule wäre.

Ein tiefer Seufzer entwich ihm, als er gedankenversunken beinahe in jemanden hineinlief. Es war Akari, welche vor dem Schultor stand und offenbar auf jemanden wartete.

„Was machst du denn hier?“, kam es verblüfft aus dem Jungen.

Hatte sie etwa einen Verwandten, den sie hier von der Grundschule abholen wollte? Aber wer sollte das sein? Zumal sie selbst ja gar nichts mit der Suzuki-Akademie zu tun hatte. Die Rothaarige besuchte die Kirigaoka Mittelschule, welche ein gutes Stück von hier entfernt war und ihr Bruder war auf der Aehara Oberschule, welche in der komplett anderen Richtung lag.

„Ich habe auf dich gewartet“, kam es recht ernst aus der Älteren, „Wir müssen uns unterhalten.“ „Willst du mir wieder irgendwas komisches unterstellen?“, äußerte Skye seinen Unmut.

 

Wenig später befanden sich die beiden dann auch schon in einem kleinen Café, um in Ruhe zu sprechen. Es war erneut eine Situation, die dem Jungen gar nicht behagte und die er am liebsten umgangen wäre. Allerdings ließ das Mädchen einfach nicht locker und da sie ihm ein Heißgetränk spendierte, konnte er auch nicht mehr groß ablehnen.

„Was willst du denn besprechen?“, rührte der Grundschüler seinen Kaffee um. Sein Gegenüber löffelte währenddessen die Sahnehaube ihrer heißen Schokolade: „Schmeckt dir dieser schwarze Kaffee etwa?“ „Ist es wirklich das was du wissen willst?“, hatte er keine große Lust auf Smalltalk, „Der ist lecker und macht wach. Schule ist ermüdend und bei uns gibt’s keinen schwarzen Kaffee für die Schüler.“ „Verstehe“, meinte die Ältere, „Grundsätzlich wollte ich über dich sprechen.“ „Über mich? Was gibt’s denn da zu reden?“, hatte der Schwarz-Blauhaarige schon eine Ahnung.

„Ich weiß wer du bist“, kam sie direkt zum Punkt, „Und ich möchte, dass du dich von meinem Bruder fernhältst.“ „Das verstehe ich jetzt nicht. Wer soll ich denn in deinen Augen sein, dass ich nicht mit deinem Bruder befreundet sein darf?“, legte der Kleine den Kopf schief. Akaris Blick wurde noch ein wenig ernster: „Du bist nicht von dieser Welt. Wo du herkommst herrscht das Chaos und du wirst es auch über die hereinbringen, die dir nahestehen.“ „Findest du das nicht ziemlich weithergeholt?“, versuchte der Grundschüler die Situation zu entschärfen, „Wo soll ich denn bitte sonst herkommen? Wenn du weißt wer ich bin, dann nenne mir doch mal ein paar Fakten über mich. Wann wurde ich geboren, wie alt bin ich, wer sind meine Eltern und wo genau komme ich her?“ „Diese Kleinigkeiten tun nichts zur Sache und sind mir vollkommen egal. Ich weiß aber, dass du nicht in dieser Zeit zu Hause bist“, schien die Rothaarige mehr zu wissen, als es ihm lieb war. „Und in welche Zeit gehöre ich deiner Meinung nach?“, versuchte der Grundschüler herauszufinden was sie wusste. „Das wirst du mir sagen müssen“, entgegnete sie forsch.

Der Schwarz-Blauhaarige schnaubte und lehnte sich zurück, während sein Blick zu seiner Linken aus dem Fenster wanderte. Seine Gesprächspartnerin folgte ihm und sah auf der Straße die ein oder anderen Fußgänger vorbeigehen. Viel Spannendes passierte jedoch nicht.

„Na gut“, fixierte Skye sich wieder auf die Unterhaltung und richtete seinen Rücken auf, „Da du nicht überrascht zu sein scheinst, wenn es um Zeitreisen geht, kann ich dir ja auch die Wahrheit sagen.“

Stillschweigend schaute ein blaues Augenpaar erwartungsvoll zum Grundschüler.

„Ich bin der Wächter des Zeitreiseportals. Demnach weiß ich auch nicht wann ich wirklich zu Hause bin“, erklärte er ruhig, „In diese Zeit bin ich gekommen, da es hier am wahrscheinlichsten ist die Zukunft vor dem Untergang zu bewahren.“ „Das heißt du bist nicht der Schurke, sondern der Held?“, weiteten sich Akaris Augen voller Erstaunen. „J-ja?“, bekam sie eine zügige Antwort. „Beweise es“, forderte das Mädchen. „Wie soll ich das denn anstellen? Außerdem hast du mich doch beschuldigt ohne es widerlegen zu können“, wendete er den Spieß. Kurz überlegte seine Gesprächspartnerin: „Hm… Irgendwie hast du recht. Immerhin hättest du ja auch sonst schon längst irgendwas verbrochen.“

Ihr finsteres Gemüt wandelte sich allmählich in ein sonniges und ihr Charakter war wie ausgewechselt. Auch den Kontakt zu ihrem Bruder bewilligte sie wieder und die Welt schien für sie wieder heil.

Der plötzliche Wechsel von Feind zu Freund behagte dem Jüngeren allerdings nicht. Er befand es als ziemlich befremdlich, war aber froh, dass nun alles in Ordnung war und eine Freundschaft der beiden möglich erschien. Trotz allem war er sich ziemlich unsicher woher genau ihre Informationen stammten. Ob Akira etwas ausgeplaudert hatte und seine Schwester nun paranoid wurde? Generell erwähnte Haru ja auch mal, dass die Rothaarige sich manchmal ziemlich in Verschwörungstheorien verstrickte.

Ob er ihren Bruder mal fragen sollte, ob er irgendwas ausgeplaudert hatte? Allerdings hieße das auch, dass er ein Gespräch zum Laufen brachte, was er lieber totschweigen wollte. Er wusste selbst, dass er eine Art Fremdkörper war und wollte demnach kein Lauffeuer entfachen.

„Na wenn das so ist“, stand das Mädchen auf und stützte beide Hände auf den Tisch, „Lass mich dir helfen! Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Fähigkeiten die Welt retten können.“

Ein blaues Augenpaar funkelte den Jüngeren voller Begeisterung an, welcher erschrocken zurückwich.

„Nur zu deiner Information: Wir sind hier nicht in einem Shounen-Manga. Also was genau stellst du dir bitte vor? Und von welchen Fähigkeiten soll hier die Rede sein?“, versuchte Skye ihr die Flausen wieder auszutreiben. Kurz überlegte diese: „Hm… wie erkläre ich das am besten? Ich besitze ein sehr großes Wissen, dass dir noch nützlich sein könnte.“ „Und was soll das für ein Wissen sein? Allgemeinbildung habe ich auch selbst“, verschränkte der Schwarz-Blauhaarige die Arme vor der Brust und sah genervt aus dem Fenster. „Du hast doch vorhin ein paar Fragen gestellt. Wie wäre es, wenn ich die über deine Eltern beantworte?“, setzte die Ältere ein siegessicheres Grinsen auf.

Schlagartig fuhr der Grundschüler herum und wusste nicht was er sagen sollte. Es war eine Mischung aus Ungläubigkeit und Neugierde, welche ihn lähmte. Sie konnte nicht wissen wer seine Eltern waren, da es keiner aus ihrem Umfeld wusste. Allerdings sagte sie es mit einer solchen Sicherheit, dass es ihn völlig aus dem Konzept brachte und er nun nicht nur wissen wollte wen sie nannte, sondern auch woher sie es wusste.

„Egal was du auch sagt, es wird nicht stimmen“, fasste er wieder Wort, „Ich als Portalwächter habe keine Abstammung.“

Mittlerweile hatte sich die Dunkelrothaarige wieder gesetzt und ihre Beine übereinanderschlagen. Genüsslich trank sie einen Schluck der heißen Schokolade und gab ihre Antwort preis: „Natürlich hast du Eltern. Du hast sogar eine kleine süße Schwester.“

Plötzlich weiteten sich Skyes Augen und er zog erschrocken die Luft ein.

„Wie ich es mir dachte. Ich liege also richtig“, grinste das Mädchen und ging ins Detail, „Dein Vater hat blondes Haar und dein Schwesterchen...“ „Hör auf!“, unterbrach er mit bebender Stimme ihre Erklärung.

Panik stieg in ihm auf und gleichzeitig machte sich auch ein wenig Furcht in ihm breit: „Wer bist du wirklich?! Sprich!“ Verwirrt legte seine Gesprächspartnerin den Kopf schief: „Akari Yoshida. Ich bin Akiras kleine Schwester und gehe in die Kirigaoka Mittelschule.“ „Verarsch mich nicht“, wurde er sauer, „Woher hast du Informationen aus der Zukunft? Wer genau bist du?“ „Aber ich sagte doch, dass mein Wissen dir von Nutzen sein kann“, erklärte die Ältere ruhig, „Wir stehen auf der gleichen Seite.“

Noch eine Weile drehte sich die Diskussion im Kreis, ehe Skye die Nase voll hatte und ging. Sonst war er immer derjenige, der alle anderen im Unklaren lies. Aber dieses Mal war er es, der unwissend blieb und ehrlicherweise trieb es ihn mehr in den Wahnsinn als er dachte.

„So langsam verstehe ich wie sich alle anderen fühlen, wenn ich nicht alles preisgebe was sie wissen wollten“, nuschelte er vor sich hin, „Ob ich es einfach offenlegen soll? Aber das könnte sie alle verschrecken und am Ende läuft es aus dem Ruder.“

Ein tiefer Seufzer entwich dem Jungen, während er weiter seinen Weg ging.

 

An diesem Abend entschied sich Skye dazu zurück ins Wohnheim zu kehren. Einerseits traute er sich irgendwie nicht so richtig Kuro unter die Augen zu treten nach seinem peinlichen Verhalten letzte Nacht beim Gewitter. Andererseits wollte er wissen was die Blauhaarige über Akira und seine Schwester wusste. Beim Suzuki-Erben war er sich unsicher, ob er ihm überhaupt alles verraten würde, was er wusste. Und wenn doch, dann war es wahrscheinlich wieder mit irgendetwas ziemlich Nervigem verbunden.

„Oh man, ich bin sowas von tot“, kam Rin soeben frisch geduscht aus dem Badezimmer und ließ sich mit dem Bauch auf ihr Bett fallen. Skye fläzte auch bereits darin und spielte wieder seine Videospiele: „Du hast momentan wirklich einiges zu tun, kann das sein?“ „Ja, die Arbeit häuft sich schneller als ich sie abarbeiten kann und irgendwann muss ich auch noch für die Nachprüfungen lernen. Die sind ja auch schon bald“, jammerte die Blauhaarige.

Beim Wort „Nachprüfungen“ zuckte der Jüngere kurz zusammen. Ihm standen diese auch noch bevor. Wobei es ihm vollkommen egal war zu bestehen oder nicht. Einzig auf Kuros nervige Standpauke hatte er keine Lust.

„Wann lernst du eigentlich dafür?“, lenkte das Mädchen das Thema in eine Richtung, die dem Grundschüler nicht behagte. „Immer mal zwischendurch“, antwortete er knapp, „Aktuell mache ich mir um was anderes Sorgen.“ „Was denn?“ war Rins Neugierde geweckt. „Meinst du einer von uns gibt Informationen über die übernatürlichen Phänomene preis?“ „Weiß nicht“, zuckte die Blauhaarige unbekümmert mit den Schultern, „Wie kommst du darauf?“ „Es ist eher eine vorrausschauende Maßnahme“, flunkerte er gekonnt, „Du bist dir doch sicherlich über die Konsequenzen im Klaren, wenn die Öffentlichkeit davon Wind bekommt, oder?“ „Wäre es dann nicht einfacher zu agieren? Dann könnten wir auch mit mehr Verstärkung rechnen“, kam es treudoof aus Rin. „Glaubst du das wirklich?“, schnaubte der Jüngere, „Hör zu, ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass das so nicht passieren wird. Unbekanntes bereitet der großen Masse Angst. Und was passiert, wenn man Angst vor etwas hat?“ Wieder überlegte das Mädchen: „Man rennt weg?“ Genervt stieß der Schwarz-Blauhaarige Luft nach außen: „Nein. Die Mehrheit der Menschen eliminiert grundsätzlich wovor sie Angst hat.“ „Meinst du? Kann ich mir nicht vorstellen“, teilte die Oberschülerin seine Meinung nicht.

Daraufhin überlegte Skye, wie er es ihr anders verständlich machen konnte. Die Ältere war eher ein praktischer Mensch und konnte mit Theorie wenig anfangen.

„Okay, dann hier mal ein Beispiel“, startete er einen neuen Anlauf, „Mal angenommen hier an der Wand sitzt eine Spinne. Was tust du und warum?“ „Ich mach sie platt, weil sie eklig ist?“, beantwortete die Oberschülerin die ihr gestellte Frage mit einer unsicheren Gegenfrage.

Die Antwort war zu logisch und einfach, als dass sie sie hätte geben müssen.

„Perfekt“, war Skye zufrieden, „Und wie würde zum Beispiel Amika reagieren?“ „Sie rennt schreiend weg“, zuckte die Blauhaarige mit den Achseln. „Und dann? Was passiert mit der Spinne im Anschluss?“, bohrte der Grundschüler weiter. „Na ja“, überlegte sie, „Wahrscheinlich holt sie jemanden, der das Vieh erledigt.“ Auf die Aussage hin grinste der Jüngere und nickte: „Und warum lässt deine beste Freundin die Spinne entfernen?“ „Sie ist eklig und Ami hat Angst davor“, verstand das Mädchen einfach nicht so recht wo das Gespräch soeben hinlaufen sollte.

„Also zusammenfassend ist Ekel und Angst der Auslöser, weswegen das Tierchen von den meisten eliminiert wird, richtig?“, hakte er vorsichtshalber noch mal nach.

Ein zaghaftes Nicken kam als Antwort zurück und Rins Augen verengten sich. Es war kaum zu übersehen, dass sie gerade versuchte zu verstehen was los war.

„Hast du dich jemals gefragt warum sich viele Menschen vor Spinnen fürchten?“, stellte der Junge wieder eine Frage, „Das liegt daran, dass wir sie nach dem Äußeren beurteilen. Sie ist einfach anders und manche sind auch giftig. Sofort gehen wir davon aus, dass uns diese mit ihrem Gift töten wird. Wir denken gar nicht darüber nach, dass vor uns womöglich ein friedliches Tierchen hockt.“

„Du willst also sagen, dass wir mit unseren Kräften sowas wie Spinnen sind?“, hakte das Mädchen verunsichert nach. „So könnte man es sagen. Selbst wenn manche vor euch wegrennen, kommt kurz drauf ein anderer, der euch böses will“, erklärte er, „Die Angst vor dem Unbekannten verleitet dazu dieses zu eliminieren. Vor allem, wenn man darin eine Bedrohung sieht.“ „Jetzt habe ich es verstanden. Es ist wie damals im Schwimmunterricht, als ich das Becken in eine Art Tsunami verwandelt habe und meine ganzen Mitschüler hätte ertränken können. Hätten sie gewusst, dass ich es war, wäre ich nicht heil davongekommen. Auch wenn es gar keine Absicht war. Aber ehrlicherweise habe ich selbst doch auch Angst vor dieser Kraft“, richtete sich die Blauhaarige wieder auf. „Mach dir keine Sorgen. Das bekommen wir in den Griff. Auch wenn ich nicht weiß wann“, grinste Skye schief, „Aber zurück zu meiner eigentlichen Frage: Meinst du einer von uns hat oder wird was ausplaudern?“

Grundsätzlich ging es ihm in erster Linie darum herauszufinden wodurch Akari an ihre Informationen gelangt war. Aber generell war es nicht schlecht dieses Thema generell zu erörtern.

„Hm… Bei Amika kann ich mir ehrlicherweise schon vorstellen, dass sie irgendwas ausplaudert. Die Frage ist nur, ob es auch geglaubt wird oder nur als Zaubertrick abgetan wird. Akira hat derzeit noch keine Beweise. Demnach denke ich nicht, dass er mit Unbeteiligten darüber spricht, denn er würde nur für bekloppt gehalten werden. Kuro geht der ganze Kram vermutlich so am Hintern vorbei, dass er darüber generell nicht spricht und Ruri ist immer so ruhig und beschäftigt, dass ich auch nicht glaube, dass sie etwas weitergegeben hat.“ „Hm klingt plausibel“, überlegte Skye, „Ich denke es ist am besten, wenn ich noch mal allen ins Gewissen rede.“

Das Ganze brachte ihn aktuell natürlich kein Stück weiter. Aber vielleicht halfen Gespräche und Einschätzungen mit den anderen Eingeweihten, um an Informationen zu gelangen. Außerdem machte es auf jeden Fall Sinn nochmal mit diesen zu sprechen und ihnen Vorsicht einzubläuen.

„Jetzt habe ich aber trotzdem noch eine offene Frage“, riss Rin den Grundschüler aus seinen Gedanken. Dieser forderte mit einem „hm?“ seine Gesprächspartnerin zum Weiterreden auf.

„Wenn alle Angst vor Spinnen haben, warum hat dann keiner Angst vor Spiderman?“ Verdutzt schaute er zur Fragestellerin herüber und wusste erst einmal nicht was er sagen sollte.

„Ähm… Wer ist das?“, versuchte er erstmal den Inhalt zu verstehen. „Na ein Superheld, der von einer Spinne gebissen wurde und nun auch deren Fähigkeiten hat“, erklärte die Blauhaarige, „Wieso kennst du das nicht?“ „Ist das dann ein Mann mit acht haarigen Beinen?“, verriet sein kritischer Blick schon, dass er absolut nichts damit anfangen konnte. „Hä? Nein, er hat nur zwei haarige Beine, kann aber Fäden schießen und rettet somit die Bürger vor dem Bösen“, führte Rin es weiter aus. „Das ist doch eine Fiktion, die nichts mit unserer Realität zu tun hat. Und wenn du es unbedingt vergleichen willst, dann frag dich mal, wie viele Bürger du bereits in der Öffentlichkeit gerettet hast oder retten wirst. Du handelst im Verborgenen und die breite Masse weiß nichts von deinen Taten.“

Kurz überlegte die Oberschülerin, ehe sie sich eingestehen musste, dass ihr Zimmergenosse nicht ganz Unrecht hatte.

 

 

Samstag, 23. Mai 2015

 

Da sich Rin am Morgen vorgenommen hatte noch einige Besorgungen von Kuros To Do Liste abzuarbeiten, verschlug es sie in den Stadtteil Aoichi-kû, wo sie unter anderem ihrem Bruder einen kurzen Besuch abstattete. Sie musste ihm unbedingt beichten, dass sie die Prüfungen vermasselt hatte. Außerdem erhoffte sie sich von ihm erfahren zu können wer das Schulgeld für die Suzuki Akademie so plötzlich bereitgestellt hatte.

„Ehrlicherweise überrascht es mich wenig, dass du durchgefallen bist“, schlürfte Saito seinen Kaffee. Ihm gegenüber, am Küchentisch, saß seine perplexe Schwester, welche abrupt aufhörte in ihrem heißen Kakao herumzurühren. Eigentlich wollte sie sich soeben beschweren, konnte allerdings nachvollziehen, dass er es so sah und schwieg.

„Aber wer nun für deine Schulkosten aufkommt ist mir selbst ein Rätsel. Ich bin es definitiv nicht und unser Vater erstrecht nicht“, grübelte der Blonde, „Hast du vielleicht einen reichen Freund?“ „Eher nicht“, grinste die Oberschülerin schief.

Sie musste aufpassen es nicht zu sehr zu verneinen. Immerhin konnte sie ihm schlecht sagen, dass sie eher geärgert und ihr die Dinge genommen statt gegeben wurden. Ihre Schleife war das beste Beispiel dafür.

„Lass uns einfach mal die Augen und Ohren offenhalten“, hakte das Mädchen dieses Thema erstmal ab, „Ehrlicherweise dachte ich jetzt aber, dass du sauer bist, weil ich zur Nachprüfung muss.“ „Ich bin nicht begeistert, aber du bist mittlerweile alt genug. Außerdem weiß ich wie wichtig dir dieses Stipendium war“, zuckte der Ältere nur mit den Schultern, „Und eigentlich bin ich selbst nicht besser, deswegen darf ich nicht meckern.“ „Wie meinst du das? Bist du in einer Medizin-Prüfung durchgefallen?“, verstand Rin nicht was vorgefallen war. „Ich hab das komplette Medizin-Studium geschmissen. Es war wenig spannend und fiel mir viel zu schwer. Jetzt studiere ich IT. Das ist bisher wirklich interessant“, erklärte er.

Mit großen Augen sah die Blauhaarige ihren Bruder an. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Sie dachte immer, dass er unbedingt Arzt werden wollte, weil doch ihre Mutter Krankenschwester war.

„Warum hast du überhaupt Medizin angefangen zu studieren? Dachtest du, dass dich das Okâ-san näherbringt?“, fiel das Mädchen mal wieder mit der Tür ins Haus. Kurz zuckte der junge Mann, beruhigte sich dann aber wieder und sprach mit trauriger Miene: „Meine Erinnerungen an sie sind so unfassbar getrübt. Ich dachte, wenn ich etwas mache, was sie geliebt hat, erinnere ich mich wieder besser an sie.“ „Du warst doch noch klein als sie von uns ging“, versuchte die Blauhaarige die Stimmung wieder zu heben, „Da ist es nur normal, dass man einiges vergisst. Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr an sie.“ Saito machte eine kurze Pause und starrte in seinen Kaffeebecher ehe er weitersprach: „Meine Erinnerungen sind wie weggeblasen. Alles was ich noch weiß habe ich auf Fotos gesehen.“ „Hast du bisher deshalb nie über sie gesprochen?“, wurde nun auch die Blauhaarige melancholisch, „Ich hab immer so viel gefragt, aber nie wollte jemand mit mir über sie sprechen. Als hätte es sie nie gegeben.“ „Das wollte ich nicht. Ich wollte dir einfach keine falschen Informationen über Okâ-san geben und Otô-san wollte wahrscheinlich nur keine alten Wunden aufreißen“, erklärte der junge Mann.

Noch eine Weile sprachen sich die Geschwister über ihre Mutter Rika aus und Rin kullerte sogar eine kleine Träne über die Wange. Genau in diesem Moment schwirrte plötzlich ein blauer leuchtender Schmetterling um ihren Bruder herum und unweigerlich musste sie ein wenig lächeln. Der Social Link zu ihm war auf die zweite Stufe angestiegen. Niemals hätte sie gedacht ihren eigenen Bruder noch besser kennenzulernen. Vor allem wenn man bedachte, dass der Link noch 8 weitere Stufen erreichen konnte, war sie nun ein wenig neugierig was sie noch alles erfahren würde.

 


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