Freitag, 10. April 2015
Wütend kickte Rin ein kleines Steinchen vor sich her, als sie auf dem Weg zur Schule war: „Blöder Ryuichi. Was versucht der auf einmal den Vater zu spielen, wo er doch sonst immer in seinem Labor verschollen ist? Interessiere ich ihn so wenig, dass er sich nicht mal solche einfachen Dinge merken kann? Soll er doch wieder verschwinden. Ich brauch keinen Vater.“
Mit voller Wucht trat sie dieses Mal gegen den kleinen Stein, welcher in einer Hecke verschwand. Verärgert darüber nichts mehr zum Kicken zu haben, schlenderte sie weiter um die nächste Ecke. Dort kam sie wie immer an dem kleinen Spielplatz vorbei, welcher ganz in der Nähe ihres zu Hauses war. Normalerweise war er um diese Zeit menschenleer, doch von Weitem konnte das Mädchen ein Kind auf der Schaukel sitzen sehen. Allerdings schaukelte es nicht, sondern machte eigenartige Handbewegungen und schaute konzentriert vor sich hin. Bei genauerem Hinsehen erblickte sie den kleinen Jungen, welchem sie schonmal begegnet war.
Neugierig stiefelte sie zu ihm herüber und blieb unmittelbar vor dem Schwarz-Blauhaarigen stehen: „Was machst du da, Kleiner?“
Er wirkte so, als tippe er auf eine unsichtbare Tastatur. Die Blauhaarige war fasziniert darüber, wie konzentriert der kleine Mann zu sein schien und wie geschickt und schnell er seine Finger bewegte.
Leicht erschrocken schaute das Kind auf: „Huh? Rin? Was machst du denn hier? Und ich habe übrigens auch einen Namen. Skye!“ „Und was spielst du da Skye-chan?“, beugte sich Rin leicht vornüber. „Skye! Nix Chan!“, wanderte ein böser Blick zur Blauhaarigen, „Ich spiele nicht.“
Verwundert stemmte das Mädchen die Hände in die Hüfte und musterte das Kind. Es spielte also so eine Art IT-Mensch nach. Ob er vielleicht einen Science-Fiction Film gesehen hatte und ihn nun nachahmte?
Erneut schaute er auf, da ihn der Blick der Blauhaarigen scheinbar störte: „Würdest du bitte aufhören mich so anzustarren?“ „Ich finde dich nur komisch“, legte Rin den Kopf schief, „Du wirkst, als wärst du halb erwachsen, spielst aber wie ein Kleinkind, dass einen coolen SciFi Film gesehen hat.“
Der Junge stoppte und sah an sich herunter, dann zu seiner Gesprächspartnerin: „Vielleicht sehe ich aus wie 10 Jahre oder so, aber das solltest du außer Acht lassen. Hier habe ich diese Gestalt, das kann ich nicht ändern. Ich bin der Portalwächter, das ist das Einzige, was von Belangen ist.“ „Hier?“, weiteten sich die blauen Augen des Mädchens, „Kommst du von einem anderen Planeten? Wie alt bist du wirklich? Bist du nur hier, um über das Portal zu wachen? Ist deine Haut dann blau oder grün oder so? ...“ „Herrgott, sei leise“, unterbrach er die Neugierige, „Ich bin einfach nur ein kurz geratener Mensch, okay?“
Man sah der Blauhaarigen an, dass sie ihm nur zur Hälfte glauben wollte, jedoch brachte der Junge sie schneller wieder auf andere Gedanken, als dass sie irgendetwas sagen konnte: „Ach stimmt ja, ich vergesse immer wieder, dass das hier ja unbekannt ist. Ich muss wirklich aussehen wie ein Volltrottel mit diesen Handbewegungen, oder?“
Leicht verwirrt über die Einsicht des Kleinen nickte Rin nur stumm und der Schwarz-Blauhaarige fuhr fort: „Ich tippe nicht wild und sinnlos in der Gegend herum, wie du vielleicht denkst. Vor mir sehe ich eine holografische Tastatur und diverse Bilder und Texte.“
Die Augen der Blauhaarigen weiteten sich erneut vor Erstaunen, weil sie nicht wusste, ob sie ihm diesen High Tech Kram glauben sollte.
Daraufhin drehte der kleine Mann seinen Kopf etwas zur Seite und strich die Haare über seinem rechten Ohr weg. Zum Vorschein kam ein kleines weißes Ding, welches einem Ohrstöpsel ähnelte. Es war an der Ohrmuschel festgehakt, konnte aber wie es schien ziemlich einfach abgenommen werden Außerdem verlief ein kurzes schmales Stück in Richtung Gesicht. Es erinnerte ein wenig an ein zu kurz geratenes Headset.
„Siehst du das da?“, tippte er symbolisierend auf das weiße Etwas, „Das nennt sich Holographic Third Eye. Kurz HTE. Es projiziert sozusagen ein interaktives Hologramm vor meinen Augen. Um es uneingeschränkt nutzen zu können, kann man es drahtlos mit Smartphones verbinden und dessen Funktionen und noch einiges mehr sozusagen holografisch verwenden.“ „Krass, dein eitsch thii ii ist ja so ähnlich wie bei SAO!“, funkelten die Augen der Blauhaarigen. Skye hingegen schien sichtlich verwirrt: „Was?“ „Was?“, kam es irritiert zurück.
„Wie auch immer, es ist auf jeden Fall ziemlich nützlich. Ich bin grade dabei alles einzurichten, damit man sie benutzen kann“, tippte er auf der unsichtbaren Tastatur weiter. Die Blauhaarige sah ihm gespannt zu, schien aber nur die Hälfte zu verstehen: „Ich frage mich trotzdem wo du und dieses Ding herkommen.“
Laut schnaubte der Junge und stoppte seine Arbeit: „Wenn ich es dir sage, gibst du dann Ruhe?“
Schnell nickte das Mädchen und sah ihn erwartungsvoll an.
„Also gut, aber es ist wichtig, dass du mir absolute Geheimhaltung schwörst“, sah er sie ernst an, „Sonst ist meine Mission massiv gefährdet.“
„Ich schwöre“, hielt sie sich die linke Hand aufs Herz und mit der Rechten streckte sie den kleinen Finger aus.
Fragend sah sie der Kleine an und bewegte sich keinen Zentimeter. Daraufhin schnappte sich Rin ungeduldig den kleinen Finger des Kindes, hakte ihn ein und bewegte die Hand dreimal auf und ab.
„Was machst du da?“, vernahm man deutlich die Fragezeichen in seinem Gesicht. Unschuldig sah das Mädchen zu ihm: „Na, ein Kleiner-Finger-Schwur. Wenn man sein Versprechen bricht, dann ist der Finger ab.“ „Klingt brutal für ein Versprechen“, blickte der Schwarz-Blauhaarige schief drein. „Jetzt erzähl schon“, stammelte Rin.
„Ist ja gut“, kam es nur von ihrem Gegenüber, „Ich bin durch das Portal in deine Welt gelangt. Ursprünglich komme ich aus einer anderen Welt, weit weg. Das kannst du dir nicht mal in deinen kühnsten Träumen vorstellen.“ „Krass“, zeigte das Mädchen die totale Begeisterung, „Ich habe einen Außerirdischen gefunden. Er spricht unsere Sprache und ist nicht grün oder blau! Wahnsinn!“
Hyperaktiv hüpfte die Blauhaarige herum und freute sich wie blöde, während der kleine Mann sie nur ziemlich genervt musterte und leise vor sich hinmurmelte: „Man ist die dumm und naiv.“
Noch wenige Minuten tippte er auf seinem Hologramm herum, dann nahm er das weiße Teil von seinem Ohr herunter: „Rin!“
Sofort stoppte Angesprochene mit ihrem dämlichen Freudentanz und sah zu Skye herüber.
„Hier!“, hielt er das HTE in die Richtung der Blauhaarigen, „Das ist für dich. Es wird dir auf der anderen Seite des Portals helfen. Hier ist es übrigens auch ziemlich nützlich.“ „Ich werde aber nicht mehr durch dein Portal gehen“, schritt sie auf ihn zu, „Das ist viel zu gruselig.“ „Es wird Menschenopfer geben. Du MUSST auf die andere Seite gehen, um sie zu retten“, sah der kleine Mann Rin mit ernstem Blick an, „Dazu bist nur du in der Lage. Nur du kannst die Schlüssel finden und die Tore öffnen.“ „Sorry, dass ich deinen dramatischen Auftritt unterbrechen muss, aber dir ist klar, dass Yoshida-kun beim letzten Mal das Portal aufgeschlossen hat, oder?“, stemmte sie die Hände in die Hüfte, „Das heißt also, dass mich keiner braucht und dass das auch jemand anderes machen kann.“
Genervt nahm sie ihren kompletten Schlüsselbund ab und drückte ihn dem Jungen in die Hand.
Leicht traurig sah der kleine Kerl sie daraufhin an: „Ich weiß, dass ich dich dazu nicht zwingen kann und dass du im Moment sicher total unter Stress stehst durch all die merkwürdigen und angsterzeugenden Geschehnisse.“
Etwas überrascht sah das Mädchen zu Skye herunter und schien auf ein „aber“ zu warten. Jedoch blieb es aus und Schweigen legte sich über die beiden. In diesem Moment verselbstständigte sich der Edelstein erneut und unter einem blauen Leuchten hakte sich der gesamte Schlüsselbund wieder an Rins Gürtel ein.
„Das ist ein Witz, oder? Ist das ein Bumerang?“, ließ sie genervt die Schultern hängen. „Dieser Saphir wurde aus deinem Herzen geboren. Er ist ein Teil von dir und das wird er immer bleiben. Verstehst du? Er verleiht dir die Macht neue Kräfte zu entfesseln und Menschenopfer zu verhindern. Es wird noch eine Hand voll Menschen geben, die dich unterstützen können, aber du bist dafür essenziell“, erklärte der Kleine. „Mir sind die anderen aber egal. Außerdem habe ich nie um Macht gebeten“, knurrte die Blauhaarige. Ernst sah er zu ihr hinauf: „Was, wenn deine Freunde zum Opfer werden? Sie schlafen ein, ihr Geist versinkt in der Dunkelheit und wenige Tage später sterben sie daran.“ „S-Sie schlafen ein?“, begann das Mädchen plötzlich zu zittern, „Ami… Sie wird sterben?!“
Betrübt blickte Skye zu ihr hinauf: „Ja… Wenn du nichts unternimmst. Denke darüber nach was du tun willst. Aber entscheide dich schnell.“
Mit diesen Worten ging er an der zur Salzsäule erstarrten Rin vorbei und verließ den Spielplatz. Noch eine Weile stand die Blauhaarige schockiert da und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
Schließlich rief sie wie aus dem Nichts laut auf: „Warte! Es gibt also noch andere, die mir helfen?! Etwa diejenigen, die auch einen Edelstein besitzen?! Also Kuro und Akira?!“
Eine Antwort auf ihre Frage blieb jedoch aus, denn Skye schien schon über alle Berge verschwunden zu sein.
Nachdenklich und mit besorgten Augen musterte sie den kleinen weißen Knopf in ihrer Hand, welcher ihr der Kleine kurz zuvor gab.
„Er sagte, das Ding sei nützlich“, steckte sie den Stöpsel in ihr rechtes Ohr.
Mit einem Mal erschien plötzlich ein holographisches Bild vor ihren Augen und Rin musste unweigerlich zusammenzucken: „Krass! Das sieht aus wie ein Laptop oder so. Nur ohne Laptop. Wie geht das?“
Aufmerksam las sie das Fenster, welches sich vor ihren Augen öffnete. Es erklärte, dass das Gerät nur für die Person gemacht ist, die sich mittels Augen- und Stimmerkennung dafür registrierte. Dementsprechend verlangte es die Bestätigung des Scannens der Augen und wollte, dass die Blauhaarige laut ihren Namen nannte. Kaum hatte sie Befohlenes getan öffnete sich eine Art Desktop. Es sah wohl eher aus wie der Homebildschirm eines Smartphones mit diversen vorinstallierten Apps. Allerdings wusste Rin damit wenig anzufangen, da sie kein solches Gerät besaß oder sich damit auskannte. Plötzlich ploppte ein kleineres Fenster vor dem Größeren auf, welches fragte, ob das Mädchen ihr Smartphone jetzt verbinden wolle.
„Echt jetzt?“, stemmte sie genervt die Hände in die Hüfte, „Wieso wollen heutzutage alle Dinge mit dem Smartphone gekoppelt werden?!“
Schnaubend drückte sie mit ihrem linken Zeigefinger auf „Nein“ und das Fenster schloss sich wieder. Daraufhin konnte sie den Homebildschirm genauer begutachten. Einige wenige Apps waren dort vorinstalliert. Rin erblickte einen leeren Ordner für Fotos, eine Kamerafunktion, einen Webbrowser, welcher nicht funktionierte zwecks nicht vorhandener Internetverbindung, einen Kalender und zwei weitere Apps, mit dessen Namen sie überhaupt nichts anfangen konnte. Die eine war grau unterlegt, unbenannt und ließ sich nicht ansatzweise öffnen die andere war bläulich und nannte sich „SL“.
Neugierig versuchte sie die blaue App zu öffnen, was ihr auch gelang. Ein weiteres großes Fenster öffnete sich über dem ersten und das Mädchen konnte viele kleine rechteckige Buttons erkennen. Sie sahen fast alle gleich aus. Es erinnerte sie ein wenig an Kartenrücken. Etwas weiter obendrüber stand breit und fett die Worte „Social Links“ und Rins Augen weiteten sich: „Das sind doch die Dinger, die Jayjay erwähnte, oder? Dachte dazu bräuchte ich ein Smartphone!“
Neugierig musterte sie die bläulich gehaltenen Rechtecke. Die meisten davon waren mit demselben Motiv versehen, welches eine Art Rahmen hatte. Innerhalb des Rahmens befanden sich Verzierungen und ein größerer Kreis. Darin war eine halbierte Maske zu sehen, welche halb blau und halb schwarz war. Und dann gab es da auch noch sechs willkürliche Karten, welche andere Motive aufwiesen und scheinbar mit römischen Zahlen durchnummeriert waren. Neugierig tippte sie die Nummer Eins an und ein kleineres Fenster ploppte vor ihr auf. Als Überschrift las sie „I. Magician“ und unmittelbar daneben erkannte sie ein Foto von Akira. Erstaunt erblickte sie unter dem Bild einen langen Balken, welcher in zehn Teile unterteilt zu sein schien. Einer davon war blau, die anderen grau unterlegt.
„Hier kann ich also sehen mit wem ich so einen Link geschlossen habe? Und wenn ich Jayjay richtig verstanden habe, dann füllt sich der Balken, wenn ich mit Yoshida-kun Zeit verbringe automatisch?“, grübelte das Mädchen, „Und wozu soll das gut sein?“
Neugierig öffnete sie auch noch die anderen Social Links, um zu sehen mit wem sie alles Verbindungen eingegangen war und vor allem, um zu sehen wie weit der Balken sich gefüllt hatte. Schnell stellte sie fest, dass sich nur neue Fenster öffneten indem sie die Rechtecke antippte, welche durchnummeriert waren. Es schienen also wirklich Vorderseiten zu sein, die schon aufgedeckt waren.
Der Reihe nach ging sie schließlich die paar Felder durch: „Die Nummer Null nennt sich also Fool? Das heißt doch sowas wie Idiot, oder?“
Kurz darauf sah sie daneben ein Bild von sich selbst und klatschte sich die Hand an die Stirn: „War ja klar, dass ich der Idiot bin. Auch wenn ich nicht kapiere wieso ich mit mir selbst eine Verbindung eingegangen bin. Das ist doch total wirr. Aber ich habe immerhin einen Balken. Genau wie Yoshida-kun.“
Nachdem sie die verbliebenen Buttons antippte, erkannte sie Jayjay als „V. Hierophant“, Skye als „X. Fortune“, Kuro als „XI. Strenght“ und Saito als „XIX. Sun“. Alle hatten sie bisher einen Balken.
„Das ist wirklich merkwürdig“, legte sich das Mädchen die rechte Hand ans Kinn, „Kann es sein, dass das Tarotkarten sind? Aber warum? Bedeutet das irgendwas? Das ist so verwirrend!“
Man sah deutlich, wie dem Mädchen der Kopf qualmte und sie begann herum zu zappeln. Genervt schloss sie die App der Social Links und sah sich nochmal auf dem ersten Fenster, dem Homebildschirm, um. Am oberen Rand konnte sie in der Mitte in kleinen Zahlen die digitale Uhrzeit vernehmen, ganz links waren vier grau unterlegte senkrechte abgestufte Balken und direkt daneben stand „Kein Netz“.
„Vielleicht verbindet sich das ja automatisch mit dem Internet, sobald es mit einem Smartphone verbunden ist, welches diese Funktion besitzt“, grübelte sie weiter über das merkwürdige Ding nach. Ihr Blick schweifte hin und her und plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Schreck: „Ach du kacke! Ich hab die erste Schulstunde ja schon verpasst! Wie lange stand ich hier rum?!“
Hastig rupfte sie sich den Stöpsel aus dem Ohr, steckte ihn in ihre Rocktasche und nahm die Beine in die Hand.
Es klingelte gerade zum Ende der zweiten Schulstunde, als Rin endlich im Schulgebäude ankam und ihre Hausschuhe anzog. Eilig hastete sie durch die Gänge und zog nach Luft ringend die Schiebetür ihres Klassenraumes auf. Ihre Mitschüler unterhielten sich bereits heiter, jedoch war der Lehrer noch da, welcher das Mädchen nun mit bösem Blick musterte: „Ach, begeben wir uns heute doch noch in die Schule?“ „Ähm“, kratzte sich Angesprochene am Hinterkopf, „Ich… wurde aufgehalten. Sorry.“
Nachdem sie das unangenehme Gespräch mit ihrem Lehrer beendet hatte, begab sie sich auf ihren Platz, wo sie direkt von Akira angesprochen wurde: „Wovon wurdest du denn aufgehalten?“
Sofort erzählte sie dem Rotschopf davon, dass sie Skye begegnet war und dass er ihr dieses holographische Gerät gegeben hatte. Dann regte sie sich darüber auf, dass heutzutage alles nur noch mit Smartphones gesteuert werden konnte. Den Teil mit der App über die Social Links ließ sie allerdings erstmal bewusst aus.
Stattdessen fragte sie: „Du, Yoshida-kun, bist du schon mal in einem blauen Raum ohne Ausgang gewesen? Oder hast du auf deinem Handy eine komische, unbekannte App?“ Verwunderte und gleichzeitig verwirrte Blicke trafen die Blauhaarige: „Ähm, nein? Wieso fragst du sowas?“ „Ach nur so“, winkte sie ab, „Ich hatte letztens einen komischen Alptraum, deshalb.“
Mit dem Beginn der dritten Schulstunde wurde das Gespräch der beiden unterbrochen. Zwar war es Rin ganz recht, dass sie nicht weiter auf die Social Links eingehen musste, denn wie es schien war sie die einzige, die im Moment etwas damit anfangen konnte. Aber sie wollte noch unbedingt mit dem Rothaarigen über Amika sprechen und ihn um Rat fragen, denn das Mädchen befürchtete, dass ihre beste Freundin wirklich irgendwo in der Welt hinter dem Portal feststeckte.
Desinteressiert lauschte Rin schließlich mit halbem Ohr dem Unterricht, während sie in ihrem Schulheft herumkritzelte. Der langweilige Theoriekram machte sie richtig müde und sie hatte Mühe ihre Augen offenzuhalten. Akira hingegen hatte es mit dem Kampf aufgegeben und döste mit dem Kopf auf dem Tisch vor sich hin. Ihrem Lehrer schien es relativ egal zu sein, dass er schlief und machte einfach mit dem Unterricht weiter.
Schlimmer wie Kaugummi zog sich die Zeit bis zur Mittagspause für die Blauhaarige. Umso erleichterter war sie, als es endlich klingelte.
„Yoshida-kun. Können wir nochmal kurz reden?“, hakte Rin direkt nach, um ihn um seine Hilfe zu bitten. „Können wir das auf später verschieben?“, wendete er sich dem Mädchen zu, „Ich bin mit einem Kumpel verabredet.“ „Okay“, war die Blauhaarige ein wenig enttäuscht, konnte es aber nicht ändern.
Mit einem „Sorry“ verließ der junge Mann schließlich den Raum und das Mädchen blieb alleine zurück. Gerade, als sie ihr Bento herauskramen wollte, um zu essen, fiel ihr auf, dass sie gar keines besaß. Das erinnerte sie wieder an ihren blöden Vater und ihre Enttäuschung wechselte zu Wut.
Daraufhin schnappte sie sich ihren Geldbeutel und machte sich auf den Weg in die Mensa. Die Pause ging für das Mädchen dadurch recht schnell vorüber und ehe sie sich versah, begann der Unterricht schon wieder.
Dieses Mal freute sie sich allerdings mehr darauf, denn sie hatte eine Doppelstunde Sport. Was gab es schöneres als sich zu bewegen und den ganzen theoretischen Kram und das Lernen bei Seite zu schieben?
Nachdem alle umgezogen waren, versammelten sie sich auf dem Sportplatz, wo die Lehrerin erklärte was für den heutigen Tag anstand: „Okay, sind alle da? Dann beginnen wir zum Aufwärmen mit 10 Runden um den Sportplatz. Danach machen wir ein bisschen Zirkeltraining.“
Genervtes Stöhnen legte sich über die Schülergruppe, da keiner so wirklich Lust hatte sich zu bewegen. Einzig Rin schien voller Tatendrang.
„Bist du irgendwie krank, Aikawa-chan?“, kam es von Akira, welcher soeben neben das Mädchen trat. „Warum?“, traf den Rothaarigen ein fragender Blick. „Du machst das hier doch nicht etwa gerne, oder?“, erklärte er sich. „Ich kann mir zwar schönere sportliche Aktivitäten als Zirkeltraining vorstellen, aber verkehrt ist daran doch nichts“, grinste sie energiegeladen, „Und jetzt komm, wir sollen laufen.“
Lustlos begann Akira schließlich neben dem Mädchen her zu joggen: „Mach mal langsamer. Ich hab keine Lust so schnell zu laufen.“ „Du Jammerlappen“, drosselte sie dennoch ihre Geschwindigkeit.
„Sag mal, was wolltest du eigentlich vorhin bereden?“, hakte der junge Mann nach. „Ich weiß vermutlich wie wir Ami wieder aus dem Koma holen können. Aber dazu brauche ich deine Hilfe und die von dem Blödian leider auch“, fasste sie sich kurz. Der Rotschopf legte den Kopf schief: „Meinst du Kuro?“ „Ja, Skye hatte heute Morgen irgendwas davon erzählt, dass in der Welt hinter dem Portal Opfer sind, welche auf unserer Seite einfach einschlafen und nach ein paar Tagen sterben, sollten sie nicht gerettet werden“, erklärte sie, „Und ich wette, dass Ami eines dieser Opfer ist.“ „Hm, der Kleine weiß ganz schön viel“, bemerkte Akira, „Aber auf mich kannst du zählen, ich werde dich begleiten und dir helfen deine beste Freundin zu retten, sollte sie tatsächlich zum Opfer geworden sein.“ „Wirklich? Du bist der Beste. Dann prügeln wir uns gemeinsam durch die Feuerschatten und retten sie“, war die Blauhaarige wild entschlossen. Ihr Mitschüler lachte: „Ja genau. Und Kuro werde ich schon dazu überreden, dass er mitkommt. Je mehr wir sind, umso besser ist es.“
Erleichtert, nicht alleine gehen zu müssen nickte das Mädchen.
„Wir sollten später unsere Nummern austauschen, dann kann ich auf LINE eine Chatgruppe erstellen. Das ist einfacher und wir können direkt eine Zeit ausmachen, in der jeder kann“, schlug der Rothaarige vor. Rin grinste ihn jedoch schief an: „Das könnte schwierig werden. Ich habe nur ein altes Klapphandy.“ „Wie geht das denn?“, fiel der junge Mann etwas von der Rolle, „Dann schreib ich dir eben eine SMS oder rufe dich an.“
Und wieder einmal machte sich bemerkt, dass es ziemlich hinderlich war als Einzige kein Smartphone zu besitzen. Vor allem war es auch sehr unnatürlich in diesem Jahrzehnt noch mit einem Klapphandy herumzulaufen, aber was sollte sie machen? Rin konnte sich nur einreden, dass sie auch gut ohne zurechtkam.
Als die Blauhaarige am Abend mit nassen Haaren aus dem Bad kam, bemerkte sie, dass ihr Handy aufblinkte.
„Ob Yoshida-kun mir eine SMS geschickt hat?“, versuchte sie mit einem Handtuch ihre nassen Haare etwas zu trocknen. Gleichzeitig klappte sie das blinkende Gerät auf und setzte sich an die Bettkante: „Oh, ein verpasster Anruf. Aber nicht von ihm.“
Sie zog das Handtuch von ihrem Kopf herunter und hängte es sich um den Hals, als sie auf ihrem Mobiltelefon herumtippte und es sich Sekunden später an ihr Ohr hielt.
„Hallo?“, ertönte eine männliche Stimme am anderen Ende des Telefons. „Hey“, entgegnete das Mädchen, „Hattest du mich angerufen, Shû?“ „Ach, Rinacchi du bist es. Ja ich hab dich angerufen du treulose Tomate“, hörte man ein kurzes Auflachen durchs Telefon. „Selber“, war sie gespielt eingeschnappt. „Du hättest dich ja mal melden können. Ich habe schon ewig nichts mehr von dir gehört. Wie ist es dir in Amerika ergangen?“, fragte er. „Woher weißt du überhaupt, dass ich wieder da bin? Das kam ja eher kurzfristig zustande“, hakte sie nach. Angesprochener erklärte sich daraufhin: „Ach, ich hatte ein paar Worte mit deinem Bruder geschrieben und mich erkundigt wie es dir da drüben so ergeht. Da hat er mir gesagt, dass du wiederkommst.“ Etwas verwirrt darüber, dass er sie nicht direkt gefragt hatte antwortete sie: „Du hättest mich doch auch selbst erreichen können. Übers Internet oder so. Aber dann weißt du ja sicher, warum ich wieder da bin.“ „Dich da drüben zu erreichen war hohe Kunst. Aber ja, ich weiß, dass du dich so dumm angestellt hast, dass du dein Stipendium verloren hast“, erschallte ein Lachen am anderen Ende des Telefons. „Wenigstens bin ich noch nie sitzengeblieben, Mister“, kontere die Blauhaarige sofort, „Und falls es dich interessiert: Ich habe mein Stipendium für die Eliteakademie hier in Aehara zurück.“ „Oho“, schien Shû überrascht.
Noch eine ganze Weile unterhielten sie sich und erzählten was sie so verpasst hatten. Rin berichtete ihm auch davon, dass Amika grundlos ins Koma gefallen war. Allerdings ließ sie die Erwähnung dieser anderen Welt und der merkwürdigen Fähigkeiten, welche sie erlangte, bewusst aus. Das erschien ihr zu Abstrakt, als dass er es ihr geglaubt hätte.
Nachdem die beiden aufgelegt hatten, bemerkte die Blauhaarige, das sie nun wirklich eine SMS von Akira bekommen hatte und öffnete diese: „Hey Aikawa-chan. Ich konnte ihn überreden. Wir treffen uns morgen Abend um 19 Uhr vor der Suzuki Akademie.“
Mit strahlendem Gesicht antwortete sie dem Rotschopf schnell und bedankte sich bei ihm.
Ein flüchtiger Blick auf die Uhr, verriet dem Mädchen, dass Saito nun auch endlich zu Hause sein müsste und sie verließ ihr Zimmer. Kurz klopfte sie an der Zimmertür ihres Bruders und trat gleichzeitig ein, ohne ein „herein“ abzuwarten. Konzentriert saß er an seinem Schreibtisch und schien irgendwas zu lernen. Er hatte nicht mal wirklich bemerkt, dass seine kleine Schwester den Raum betreten hatte.
„Saito-nii, ich muss dir was sagen“, sprach sie vorsichtig. Kurz schreckte Angesprochener über die plötzliche Anwesenheit Rins auf: „Was hast du wieder angestellt?“ „Wieso muss ich immer gleich irgendwas angestellt haben?“, meckerte das Mädchen. „Weil du Rin bist“, begründete er. Verärgert schnaubte sie: „Toller Grund.“
„Ich habe mein Stipendium zurück und gehe ab nächster Woche auf die Suzuki Akadmie“, machte sie es kurz. Erstaunt darüber ließ der junge Mann von seinen Lernaufgaben ab und drehte sich nun vollständig zu der Blauhaarigen: „Das ist ja wunderbar, ich freue mich für dich. Vor allem entlastet das ein wenig die Haushaltskasse. Aber wie hast du das denn angestellt?“ „Na ja… da ist aber noch was“, kratzte sie sich verlegen am Hinterkopf, „Ich ziehe ins Wohnheim ab diesem Wochenende.“ „Das ist nicht dein Ernst, oder? Wie sollen wir dieses teure Wohnheim denn bitte bezahlen?“, fiel dem Blonden die Kinnlade herunter. „Jetzt jammere nicht, wir müssen gar nichts zahlen“, formte sie mit der linken Hand ein Peacezeichen und grinste frech. „Dann hast du ja sogar ein Upgrade auf dein altes Stipendium-Angebot bekommen“, überlegte Saito, „Aber findest du es wirklich sinnvoll ins Wohnheim zu ziehen? Ich halte das für Blödsinn.“ „Das ist kein Blödsinn. Überleg doch mal was wir dadurch sparen. Das Essen bekomme ich bezahlt im Wohnheim und ich muss mir auch keine Bahnkarten mehr kaufen, weil ich direkt neben der Schule wohne. Außerdem kann ich noch ein bisschen Geld nebenbei verdienen, weil ich als Kompromiss einen Assistentenjob angenommen habe. Und du musst auch nicht mehr so hart arbeiten und kannst dir etwas Freizeit gönnen“, erklärte die Jüngere lang und breit. „Warte, du hast einen Job angenommen? Du weißt doch ganz genau was ich davon halte. Was soll das denn bitte für eine Art von Arbeit sein?“, war der Blonde aufgebracht, „Außerdem finde ich es nicht sinnvoll, wenn du irgendwo ganz alleine wohnst. Hier ist dein zu Hause und nicht in irgendeinem Wohnheim.“
Rin hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Bruder so eine Diskussion beginnen würde. Eigentlich war sie der festen Überzeugung, dass er sich freute, da die Familienkasse somit wirklich um einiges erleichtert werden würde. Klar, er hatte ihr einen Nebenjob verboten, damit sie sich auf die Schule konzentrieren konnte. Jedoch steckte Saito in derselben Situation, da er ebenfalls für sein Studium lernen musste.
„Ach das ist nur eine Art Laufburschenarbeit von einem anderen Schüler. Die sind doch alle stinkereich dort und können sich alles erkaufen“, erklärte die Blauhaarige ziemlich gelassen.
Dass sie darauf allerdings so gar keine Lust hatte oder, dass besagter Schüler ein richtiger Idiot war, erwähnte sie besser nicht.
„Das klingt eher so, als wärst du als Diener eingestellt. Ich glaub die Schüler werden dich auf dieser Schule noch zu mobben anfangen, weil du aus ärmlichen Verhältnissen kommst“, blickte der junge Mann besorgt drein. Rin stemmte daraufhin selbstbewusst ihre Hände in die Hüfte: „Als ob ich mich jemals mobben lassen würde. Du weißt schon wen du hier vor dir hast, oder?“
Gespielt freudig grinste sie ihren Gegenüber an, in der Hoffnung, er würde die Lüge nicht erahnen. Natürlich wurde sie schon häufig gemobbt und hat sich daraufhin still und heimlich in ihrem Zimmer zurückgezogen und nichts an sich herangelassen. Damals war ihr Sandkastenfreund Shû noch da. Er machte sich immer für sie stark. Aber seit er weggezogen war, hatte Kuro sie damals in der Mittelschule erstrecht auf dem Kicker und auch Akira zog bei den Schikanen mit.
Mit einem tiefen Seufzer entgegnete Saito seiner Schwester: „Ich kann dich sowieso nicht aufhalten, oder?“ „Du hast es erfasst“, bekam er prompt als Antwort. „Aber eins musst du mir versprechen. Wenn du irgendwelche Probleme oder Sorgen hast, dann komm zu mir, ja?“, forderte der Blonde. „Worauf du dich verlassen kannst“, grinste das Mädchen ihren Bruder an, „Also mach dir keine Sorgen. Das wird schon alles werden.“ „Immer wenn du das sagst, mache ich mir nur noch mehr Sorgen“, grinste er schief.
Danke fürs Lesen <3
Lasst mir gerne eure Meinung da *o*/)