Dienstag, 07. April 2015
Endlich ertönte die Schulklingel, welche die Schüler in die Freiheit entließ. Kurz wanderte Rins besorgter Blick nach rechts auf den freien Platz, an welchem ihre beste Freundin Amika eigentlich saß. Heute war sie nicht zur Schule gekommen und auf die SMS, die das Mädchen ihr schickte, bekam sie noch immer keine Antwort. Auch ihre Anrufe in der Mittagspause wurden ignoriert.
Es war recht ungewöhnlich, dass die Brünette einfach so fehlte und nicht antwortete. Ob wohl irgendetwas passiert war?
„Können wir?“, ertönte Akiras Stimme direkt vor der Blauhaarigen. Allerdings bekam er keinerlei Reaktion von Angesprochener und versuchte es erneut: „Aikawa-chan? Alles okay?“ Leicht zuckte Rin zusammen, als sie ihren Namen hörte und registrierte nun endlich den Rothaarigen: „Oh, ja, sorry.“
Immer noch gedankenversunken wanderte Rin nun neben dem Rothaarigen her. Er hatte es geschafft ein Treffen mit seinem Bekannten für das Mädchen zu organisieren. Wenn sie Glück hatte bestand die Chance, dass sie eventuell ihr Stipendium zurückbekommen würde. Sie hoffte so sehr, dass es klappen könnte und sie am Ende doch noch an der Suzuki Akademie angenommen werden würde. So blieben ihr die Schulkosten erspart und sie hatte die Chance auf einen top Abschluss. Außerdem würde sie vermutlich vor Glück sterben, wenn sie in der besten Lacrosse-Mannschaft spielen könnte, die der Umkreis zu bieten hatte.
Aber an all dies dachte die Blauhaarige zurzeit nicht, denn ihr schwirrte Amika noch immer im Kopf herum. Es musste doch einen triftigen Grund geben, weswegen sie von der Schule fernblieb und sich nicht mal meldete. Rin hatte ein wirklich merkwürdiges Gefühl und machte sich riesen Sorgen.
„He, ist alles in Ordnung?“, blickte der junge Mann zu ihr herüber. „Was? Eh… ja“, stotterte sie herum. Nachdem kurzes Schweigen ausbrach, schnaubte das Mädchen schwer: „Okay, nein. Ich mache mir Sorgen um Ami. Es ist ungewöhnlich, dass sie sich nicht einmal gemeldet hat.“ „Sollen wir vielleicht einen kleinen Abstecher machen? Dann kannst du nach ihr sehen?“, schlug Akira vor. „Ich möchte nicht, dass dein Bekannter wartet. Das wäre unhöflich und würde keinen guten Eindruck hinterlassen“, blieb ihr Blick besorgt. Der Rothaarige hingegen winkte nur ab: „Blödsinn. Der hockt da noch den ganzen Tag in seiner Arbeit. Das kratzt den null, ob wir jetzt oder später vorbeischauen.“
Es dauerte nicht lange, bis sie endlich das zu Hause der Brünetten erreichten. Die beiden bogen soeben um die letzte Ecke, als Rin plötzlich tief einatmete, die Augen aufriss und wie zu Stein erstarrte. Akira zuckte durch die Reaktion des Mädchens sogar kurz zusammen und sah sie mit besorgter Miene an: „Aikawa-chan? Was ist denn passiert?“
Ohne ihren nach vorne gerichteten Blick abzuwenden oder ein Wort zu sagen, zeigte sie mit dem Finger auf eines der Häuser. Na ja, zugegebenermaßen konnte man es nicht mehr so nennen, denn es war teilweise in sich zusammengefallen und großflächig abgesperrt wegen Einsturzgefahr.
„Das ist vor einigen Wochen abgebrannt. Da war ein großer Bericht in der Zeitung, weil es wohl auch Opfer gab“, blieb der Rotschopf zuerst wenig beeindruckt, „Warte… Das ist doch nicht das zu Hause deiner Freundin, oder?!“ „Doch“, bebte die Stimme des Mädchens förmlich.
Sie war sprachlos und wusste nicht was sie sagen sollte. Warum war das Gebäude abgebrannt? Und was meinte Akira mit „Opfer“? War etwa jemand gestorben? Wo war ihre beste Freundin nun abgeblieben? Und am Wichtigsten: Wieso erzählte sie ihr nichts davon? Hatte sie kein Vertrauen mehr in ihre beste Freundin?
So viele Fragen fuhren in dem Kopf der Blauhaarigen Achterbahn, dass sich ihre Augen verdrehten und sie in sich zusammensackte. Ihr Begleiter konnte sie grade noch rechtzeitig auffangen, bevor sie unsanft auf den Boden geprallt wäre.
„Aikawa-chan!“, rief er und rüttelte an ihren Schultern, „Hey! Wach auf!“
Es dauerte nur Sekunden, bis sie wieder ihre Augen öffnete: „Was ist los?“
Völlig benebelt schaute sie in die blauen Augen des besorgten Akira und war schneller wieder bei Bewusstsein, als er dachte. Schlagartig sprang das Mädchen auf und lief näher auf das abgebrannte Haus zu. Ungläubig stand sie davor und konnte es immer noch nicht fassen.
„Es ist einfach abgebrannt? Komplett abgebrannt? Warum bloß?“, murmelte sie vor sich hin und musste mit den Tränen kämpfen. „Hat sie dir nie etwas erzählt?“, trat der Rotschopf neben sie.
Auf das Gebäude starrend schüttelte sie kurz den Kopf und der junge Mann tätschelte vorsichtig ihren Kopf: „Das tut mir echt leid.“
Nun wandte sie sich ihm zu: „Du sagtest doch eben, dass es Opfer gab, oder? Ist jemand gestorben? Wer? Und wie ist das passiert?“ Durchbohrt von Fragen musste er kurz überlegen: „Oh je. Das ist schon so lange her, als ich den Bericht überflogen hatte. Ich glaube es ist eine Frau gestorben und jemand wurde leicht verletzt. Ich weiß aber nicht genau wer. Und wie das passiert ist, war scheinbar unklar.“ „Eine Frau? Etwa Amis Mutter? Oh nein!“, hielt sie sich beide Hände an die Wangen, „Und wo wohnen sie jetzt?“ Ihr Begleiter zuckte mit den Schultern: „Wer weiß. Wir können ja mal einen Nachbarn befragen.“
Gesagt, getan, schritt das Mädchen zielstrebig auf das Haus links daneben zu und klingelte. Nachdem keiner öffnete versuchte sie es erneut, aber es war wohl keiner zu Hause. Sofort ging sie auf das Gebäude auf der rechten Seite zu. Dort wurde ihr zwar geöffnet, aber es konnte ihr keine Auskunft gegeben werden, weil besagte Mieter erst vor kurzem eingezogen waren und es da schon abgebrannt war. Auch in den Häusern gegenüber hatte das Mädchen wenig Glück und geknickt blieb sie auf der Straße stehen: „Das kann doch nicht wahr sein. Wo sind die alle und wieso weiß hier keiner was?!“
Akira grinste sie schief an und symbolisierte, dass er doch auch keinen Plan hätte wieso hier keiner brauchbare Informationen hatte. Schlussendlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als wieder zu gehen.
Rins Sorgen wurden durch den versuchten Besuch nicht weniger und dem Rothaarigen tat es fast schon Leid, dass er ihr vorgeschlagen hatte bei Amika zu Hause vorbeizusehen. Aber besser so, als dass das Mädchen auf ewig Unwissend über die Geschehnisse blieb.
Endlich waren sie vor der Suzuki Akademie angekommen und Rin musste erneut über den riesigen Campus staunen. Sie hatte schon fast vergessen, was diese Schule doch für eine Eliteeinrichtung war.
Direkt hinter der Mauer waren viele große Kirschbäume angepflanzt worden, welche zu dieser Jahreszeit in voller Blüte standen. Ging man durchs Tor, erstreckte sich ein langer Weg geradeaus ins Gebäude hinein. In der Mitte wurde der breite Pfad durch einen großen Springbrunnen kurz geteilt. Links und rechts am Wegrand waren große, lange Blumenbeete angelegt, welche sich vom Weg aus zu beiden Seiten in mehreren Reihen erstreckten. Zwischendurch waren einige Lücken in den Beeten, damit man dennoch problemlos hindurchschlüpfen konnte.
Links war der Bau noch recht weitläufig, während er auf der anderen Seite vielleicht nur halb so lang war. Auf der kurzen Seite konnte man vom Eingangsbereich aus schon den überdimensionalen Sportplatz erkennen. Das Mädchen sah ein Fußballfeld, sowie ein Basketballfeld. Auch Baseball konnte sie erkennen. Mehr war für sie auf die Entfernung nicht zu sehen.
Auf der linken Seite jedoch konnte sie am Ende einen großen gut belegten Fahrradplatz sehen.
Das Schulgebäude selbst machte dann an den beiden Seiten einen Knick nach hinten zu einem sehr langen U.
Einige Schüler, welche schon Schulschluss hatten, liefen den beiden entgegen und musterten sie merkwürdig. So zwei Gestalten mit der Uniform der staatlichen und billigsten Schule der Stadt fielen in dieser Eliteeinrichtung schon ein wenig auf. Peinlich berührt zog das Mädchen etwas den Kopf ein und starrte auf den Boden während sie zügig neben Akira herlief. Natürlich schaute die Blauhaarige somit auch nicht mehr nach vorne und krachte plötzlich in den Rücken einer stehenden Schülerin hinein und riss sie zu Boden. Beiden schrien sie vor Schreck kurz auf, bevor sie auf dem harten Asphalt aufkamen. Im selben Moment ging von Rin wieder ein kurzes blaues Leuchten aus und plötzlich schoss das Wasser des Springbrunnens vor ihnen für wenige Sekunden fontänenartig in die Luft.
„Krass“, blieb der Rothaarige wie angewurzelt stehen und beäugte mit offener Kinnlade wie das Wasser für kurze Zeit verrücktspielte.
Auch die anderen Schüler, welche in unmittelbarer Nähe waren, schauten nicht schlecht, als sie die Fontäne gesehen hatten.
„Aua“, rappelte sich die Blauhaarige auf und entschuldigte sich, „Tut mir leid, ich hab dich nicht gesehen.“
Ein Mädchen mit eisblauen, knielangen Haaren saß vor ihr und umklammerte mit ihrer rechten Hand ein Buch. Schüchtern antwortete sie nur: „I-ist ja nichts passiert.“
Schnell half Rin ihr wieder auf die Beine und setzte sich schnell mit ihrem Begleiter wieder in Bewegung. Sie wollte nicht von den anderen Schülern angestarrt werden für ihre Blödheit.
„Du rennst gerne in Leute, kann das sein?“, lachte Akira laut.
Gespielt beleidigt blies das Mädchen ihre Wangen auf und sagte einfach nichts. Aber Recht hatte er dennoch. Manchmal war die Blauhaarige so sehr in ihrer eigenen Welt versunken, dass sie ihr Umfeld gar nicht mehr wahrnahm.
„Hast du gesehen wie der Springbrunnen plötzlich kurz eskaliert ist? Das war echt einmalig“, lachte er immer noch. „Eskaliert?“, fragte sie irritiert, „Was war denn mit dem Brunnen?“ „Hast du nicht gesehen, wie da plötzlich eine meterhohe Fontäne rausgeschossen kam?“, stutzte der Rotschopf.
Das Mädchen schüttelte nur ihren Kopf und verstand nicht so ganz was da vorgefallen war. Vermutlich war das genau in dem Moment passiert, in dem sie in die Schülerin reingekracht war. Aber merkwürdig war es schon, denn vor einigen Tagen war ja etwas Ähnliches mit ihrer Wasserflasche passiert.
„Na ist ja auch egal. Der Springbrunnen hatte sicher nur einen Defekt oder so“, zuckte der junge Mann mit den Schultern, „Aber hast du dir mal dieses Mädchen eben angeschaut? Ich finde ihr seht euch irgendwie ähnlich.“ „Findest du? Nur weil sie auch blaue lange Haare hat? Aber ihre sind so viel heller und länger als meine“, kurz nahm sie eine ihrer Strähnen in die Hand und musterte sie. Der Rothaarige musste überlegen: „Ich weiß auch nicht. Aber als ich euch da so zusammen gesehen habe, da dachte ich, dass ihr eine gewisse Ähnlichkeit miteinander habt.“
Da die beiden auf keinen klaren Nenner kamen, ließen sie die Diskussion darüber jedoch bleiben und Rin hoffte, dass sie schnell bei besagtem Bekannten ankamen.
Nachdem Akira zielstrebig durch das halbe Gebäude gewandert war, blieb er schließlich vor einer Tür stehen. Ob das wohl das Zimmer des Direktors war? Das Lehrerzimmer war es definitiv nicht. Aber Rin konnte sich auch nicht vorstellen, dass der Direktor ausgerechnet hier seinen Raum hatte. Es waren zwar keine offiziellen Klassenzimmer, aber direkt nach diesem Raum erstreckte sich ein langer Gang mit diversen Clubräumen.
Kaum hatte der Rotschopf geklopft wurde auch schon die Tür aufgeschoben und ein leicht molliges Mädchen mit pastellfarbenen lockigen Haaren stand vor den beiden. Ihr Pony war hellblau gefärbt, während der Rest in helles Grün getaucht war. Die meisten ihrer Strähnen waren zu einem seitlichen Zopf gebunden und ragten ihr bis zur Schulter. Auch ihre Augenfarben waren recht auffällig in die Farben Blau und Grün gespalten. In ihrem Arm hatte sie einige Unterlagen umklammert und begrüßte die Ankömmlinge schüchtern, aber höflich.
„Oh, Kobayashi-chan? Du hier?“, grinste Akira das Mädchen frech an. Scheinbar musste sie kurz überlegen: „Ah, Y-Yoshida-kun? Was führt dich denn her?“ „Ach, das wird nur ein kurzer Besuch“, winkte er ab.
Nur wenige Sekunden später verabschiedeten sie sich wieder voneinander und die Blau-Grünhaarige verschwand den Gang entlang.
Verwirrt beäugte Rin das Geschehen und verstand nicht so ganz woher er diese Schülerin wohl kannte. Immerhin ging sie auf diese Eliteakademie, war sicherlich stinkereich und hatte kaum etwas mit Leuten zu tun, die nur eine billige staatliche Schule besuchten.
Sofort trat Akira in den Raum und sah sich suchend um: „Ah, hey, da bist du ja.“
Grüßend hob er eine Hand in Richtung einer riesen Bücher- und Papiermauer. Saß da etwa jemand dahinter? Auch das Mädchen trat nun in den Raum und schob die Tür hinter sich zu.
„Wie wäre es mit einem ‚sorry‘ du ewiger Zuspätkommer!“, ertönte eine murrende männliche Stimme hinter der Mauer. Grinsend kratze sich Angesprochener am Hinterkopf: „Ja ja, sorry. Mach doch keinen Elefanten draus. Du bist doch heute sowieso den ganzen Tag hier.“
War der Bekannte des jungen Mannes etwa ein Schüler? Wie konnte ihr ein Schüler wieder zu ihrem Stipendium behelfen? Irritiert musterte Rin wie Akira sich mit der Mauer unterhielt.
„Ich hab aber besseres zu tun, als ewig zu warten“, erschallte erneut die Stimme, welche dem Mädchen nach genauerem Hinhören irgendwie bekannt vorkam. Allerdings konnte sie sie nicht zuordnen. Doch sie musste dem jungen Mann schon einmal irgendwo begegnet sein. Wer war das bloß?
„Ist ja schon gut. Ich wurde nun mal aufgehalten, aber ich habe Aikawa-chan mitgebracht“, deutete er auf seine Begleitung und steuerte die Tür wieder an, „Ich bin dann mal kurz auf der Toilette.“
Mit großen Augen schaute die Blauhaarige ihm hinterher. Er wollte sie doch jetzt nicht etwa alleine lassen, oder?
Kaum war er aus der Tür verschwunden ging Rin einige Schritte auf die errichtete Papiermauer zu: „Hallo, freut mich Sie kennenzulernen. Mein Name ist Rin Aikawa“, sie verbeugte sich so höflich sie konnte und versuchte somit einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Man hörte wie der Stuhl bewegt wurde und aus der Barrikade erschien plötzlich ein junger Mann, kaum älter als sie selbst. Gekonnte schwang er sich über die lange Tischreihe und setzte sich auf dessen Kante direkt vor das stehende Mädchen.
Er war relativ groß und hatte kurze schwarze Haare. An den Seiten hingen jedoch zwei lange Strähnen herunter und sein Pony verlief schräg nach links. Dazu standen ihm zwei kleinere Strähnen vom Kopf ab. Seine Augen waren Goldbraun und sein Blick musterte das Mädchen ziemlich desinteressiert. Zum Erstaunen der Blauhaarigen trug ihr Gegenüber die Schuluniform. Und das ziemlich schlampig. Das schwarze Jackett mit gelb-karierten Akzenten stand offen und wurde an den Ärmeln hochgekrempelt und statt dem weißen Hemd trug er ein einfaches T-Shirt darunter. In passendem Gelb hatte er sich ein Dreieckstuch um den Hals gebunden. Die gelb-karierte Hose war das einzige was er nicht unordentlich angezogen hatte. Wie auch? Lediglich eine kleine Eisenkette hing am Gürtel seines linken Beines. An ihr war ein strahlend grüner Stein befestigt. Vermutlich ein Smaragd?
„Und du bist gekommen, weil du dein Stipendium wiederhaben willst?“, legte er sein rechtes Bein über sein linkes und stützte seinen Kopf mit seinem Arm auf besagtem Bein ab.
Statt einer Antwort starrte das Mädchen nur wie gelähmt auf die Person welche da vor ihr saß. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein, oder? Sie kannte den Schwarzhaarigen. Sie kannte ihn nur zu gut. Es war kein geringerer als der beste Kumpel von Akira, Rins größter Alptraum, Kuroya Ayumu alias Kuro. Wie oft hatte er sie in der Mittelstufe schikaniert, gedemütigt und sie vor ihren Freunden lächerlich gemacht? Sie hasste ihn. Abgrundtief.
„Hey, warte mal“, legte Kuro den Kopf schief und musterte das Mädchen, „Du kommst mir bekannt vor.“
Panisch wich die Blauhaarige einen Schritt zurück. Die Angst stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben und der Schweiß tropfte ihr von der Stirn. Nie im Leben würde ihr der Vollidiot ein Stipendium geben. Vor allem verstand sie nicht wieso ausgerechnet er dazu bemächtigt sein sollte.
Wieder meldete sich der junge Mann zu Wort: „Ah! Ich hab‘s! Von der Mittelschule kenne ich dich.“
Ein siegessicheres Grinsen legte sich über sein Gesicht und wieder fehlten dem Mädchen die Worte.
„Was ist los mit dir? Hast du deine Stimme verloren?“, lachte er über ihr Schweigen, „Oder hast du etwas schon eingesehen, dass du dein Stipendium nicht mehr wiederbekommst?“
Da er mit seinen Worten genau ins Schwarze traf, zuckte Rin unweigerlich zusammen. Trotzdem schaffte sie es nicht ihm Kontra zu geben. Was war bloß verkehrt mit ihr? Wenn ihre Freunde oder ihr Bruder sich über sie lustig machten, dann konnte sie immer schlagfertig irgendetwas heraushauen, um das Blatt zu wenden. Aber wieso versagte ihre Stimme jedes Mal bei diesem Kuro? Warum war ihr Kopf dann wie leergefegt?
„Na, was soll’s. Dann kommen wir mal zum Thema. Du weißt schon, dass ich dir nicht einfach so ein Stipendium schenken kann, oder? Die Schule kann besseres mit ihrem Geld anfangen, als jemand talentlosen wie dich zu fördern“, plapperte er drauflos, „Also?“
Also was? Was wollte er bloß damit andeuten?
Plötzlich sprang er vom Tisch auf und stellte sich unmittelbar vor das Mädchen. Er war gut einen Kopf größer als sie, was schon zur Einschüchterung reichte. Doch er setzte noch einen drauf, indem er seinen Rücken krümmte und ihr mit seinem Gesicht näherkam. Unweigerlich zog sie ihren Kopf zurück, blieb aber wie angewurzelt direkt vor ihm stehen. Nun sahen sich die beiden direkt in die Augen. Kuro frech-fröhlich grinsend und Rin mit weit aufgerissenen angsterfüllten Augen.
In diesem Moment griff er nach der Kette, welche das Mädchen trug und begutachtete den blauen Edelstein und den goldenen Schlüssel.
„Also?“, zog er das Wort lang, während er den Schlüssel verwundert begutachtete.
„Was ist dein Preis, Aikawa?“, blickte er auf und starrte ihr direkt in die Augen.
Wie jetzt ‚Preis‘? Was meinte er mit ‚Preis‘? Und was erlaubte er sich einfach an ihren Sachen herumzufummeln?
Schlagartig wich das Mädchen endlich einige Schritte zurück und umklammerte feste ihre Oberarme. Dabei rutschte der Schlüssel aus Kuros Hand. Rins Blick verriet, dass sie mittlerweile noch viel verängstigter war als zuvor, was den jungen Mann sichtlich amüsierte.
Laut lachte er auf: „Wahaha, was du bloß denkst. Als ob ich mich an jemanden wie dich freiwillig ranmachen würde.“ Dann deutete er mit dem Finger auf die Blauhaarige, stemmte seine andere Hand in die Hüfte und richtete seinen Rücken wieder auf: „Werde meine persönliche Assistentin!“
Hatte sie sich grade verhört, oder hat er das echt gesagt? Als ob sie für ihn den Sklaven spielen würde. Das Mädchen wusste ganz genau was sie sich dann tagein tagaus von ihm gefallen lassen müsste. Es reichte ihr ja schon, dass er scheinbar an diese Schule ging, auf die sie unbedingt wollte.
In diesem Moment wurde plötzlich die Tür aufgeschoben und der Schwarzhaarige sah zu dieser hinüber. Rin hingegen hatte immer noch ihren geschockten Panikblick auf den jungen Mann gerichtet.
„Man, Kuro“, ertönte Akiras Stimme, „Warst du schon wieder so schroff?“ „Nein. Wie kommst du darauf?“, verschränkte er die Arme und mimte pfeifend das Unschuldslamm. Genervt schob der Rothaarige die Tür wieder hinter sich zu: „Werde endlich erwachsen. Hast du wenigstens die Sache mit dem Stipendium geklärt?“
Durch die Anwesenheit ihres Klassenkameraden fühlte sich das Mädchen mittlerweile schon viel sicherer. Er schien vernünftiger zu sein als ihr schlimmster Alptraum und war auf ihrer Seite.
Jedoch schritt der Schwarzhaarige wieder auf sie zu: „Ja ja, das ist schon geklärt. Aikawa weiß, was zu tun ist, nicht wahr?“
Er grinste sie hinterhältig an und schnappte sich im selben Moment erneut den Schlüssel: „Und wozu ist der jetzt gut?“
Etwas fester zog er daran, sodass sich der Knoten im Lederbändchen löste und die Kette nun mitsamt dem Edelstein ins Kuros Händen war.
„Mensch, was soll das denn?“, stapfte Akira wütend auf seinen Kumpel zu und entriss ihm die Kette. Dabei musterte er den Schlüssel nun ebenfalls: „Das ist ja ein seltsames Teil. Ist der aus echtem Gold?“ Endlich bekam das Mädchen ihre Stimme zurück und antwortete noch etwas zittrig: „Ich weiß es nicht.“ „Und wozu ist der gut? Der sieht aus, als wäre er für irgendwas total Krasses“, war der Rothaarige sichtlich erstaunt. „Er war eines Tages da. Das ist sicherlich nur Schmuck“, erklärte Rin. „Meinst du?“, war sein Interesse immer noch geweckt, „Das muss ich testen.“
Sofort rannte er zur Tür hinüber, um den Schlüssel auszuprobieren.
„Bist du blöd? Wieso sollte das Ding ausgerechnet in die Tür vom Schülerrat passen? Der sieht ganz anders aus“, schaute der junge Mann seinen Kumpel kritisch an.
In dieser Zeit hatte Akira allerdings schon das gute Stück ins Schlüsselloch geschoben und versucht ihn zu drehen. Es klackte kurz und er ließ sich einmal herumdrehen.
Mit aufgerissenen Augen schaute der Rotschopf schief grinsend zu den beiden herüber: „Hat das grade geklackt? Das hat doch nicht echt funktioniert, oder?“
Schweißperlen rannen ihm die Stirn herunter während Rin fassungslos zu ihm herübersah. Kuro hatte sich ziemlich schnell wieder gefasst und packte das Mädchen nun am Kragen: „Wo hast du den Schlüssel fürs Schülerratszimmer her? Das ist Diebstahl!“
Noch ehe er seine Wut vertiefen konnte, schob Akira besagte Tür auf und konnte seinen Augen nicht trauen: „EH?!“
Abwechselnd schaute er aus dem Fenster hinter sich und wieder aus der Tür heraus, dann deutet er mit dem Finger hindurch: „D-Das kann nicht sein.“
Verwirrt über die Reaktion des jungen Mannes, lies der Schwarzhaarige von seiner Diebin ab und beide liefen eilig zur Tür herüber und versuchten herauszufinden, was ihr Kumpel da so Unglaubliches sah. Im ersten Moment verstanden sie nicht was los war, doch dann bemerkten auch sie es.
„Da ist ja Nacht!“, riefen beide im Chor und drehten sich ebenfalls herum, um aus dem Fenster des Schülerratszimmers zu schauen. Dort war helllichter Tag, während auf der anderen Seite die dunkelste Nacht herrschte.
Etwas zittrig gab Akira der Blauhaarigen ihre Kette wieder, welche sie sich erneut umband. Dann ging er mutig in den Flur, um sich genauer umzusehen. Dabei formte sich ein dunkler braun-grauer Kapuzenumhang um ihn herum. Auch Kuro tat es ihm gleich und sie begutachteten ihre dazugewonnene bodenlange Robe.
Rin jedoch blieb zittrig zurück und starrte die beiden nur panisch an. Sie kannte diesen Umhang. Den hatte sie in ihrem Traum einmal gesehen. Das war der schreckliche Traum, in welchem sie in dieser Trümmerlandschaft stand und das kleine Mädchen mit diesem Vogel fand. Was ging hier bloß ab?
„Wo kommt denn jetzt das hässliche Ding her?“, sah der Schwarzhaarige an sich hinunter. Akira zuckte mit den Schultern: „Das wüsste ich auch gerne. Dieser Schlüssel hat uns wohl ein Portal in eine andere Dimension geöffnet.“ Frech grinste er seinen Kumpel an, welcher ihm mit der flachen Hand leicht auf den Kopf schlug: „Du zockst zu viel.“ „Aua.“
„Komm, Aikawa-chan. Lass uns das mal genauer ansehen, das ist interessant“, forderte Akira Rin dazu auf, auch durch die Tür zu gehen.
Sie wollte nicht, das stand fest. Aber genauso wusste sie, dass die Jungs definitiv die Gegend unsicher machen würden. Egal ob sie mitkam oder nicht. Und alleine wollte sie hier nicht bleiben, weswegen sie sich zögerlich dazu entschied hinter den beiden herzulaufen.
Auch bei ihr erschien wieder der dunkelbraun-graue Umhang, als sie zu den beiden herübertrat. Kuro jedoch hatte was an seinem neuen Kleidungsstück auszusetzen, riss es sich herunter und pfefferte es auf den Boden.
„Blödes Teil. Als ob ich mit sowas Hässlichem durch die Gegend laufen würde“, knurrte er.
Doch der Umhang hatte da seine eigene Meinung wie es schien, denn er materialisierte sich kurz darauf wieder an seinem Besitzer. Die Drei staunten nicht schlecht, als sich der Stofffetzen einfach mal eben so beamte.
„Ist das grade echt passiert?“, war Akira sprachlos. Kuro hingegen wurde nur wütender: „Was soll denn der Scheiß?!“
Wieder riss er sich die Robe herunter, doch auch dieses Mal kehrte sie wieder zu ihrem Besitzer zurück. Einige Male wiederholte er es noch und auch der Rothaarige konnte es nicht lassen und versuchte es ebenfalls voller Neugier. Das Ergebnis blieb auch bei ihm das Gleiche.
Rin stand währenddessen genervt da und schaute den Jungs gefühlte tausend Mal beim Ausziehen zu: „Leute? Das nervt. Glaubt ihr echt, dass der Umhang seine Meinung beim hundertsten Mal dann ändert?“
Vom Schwarzhaarigen bekam sie nur ein aggressives Zähneknirschen zu hören, ehe er den Gang entlang weiterging. Akira hingegen meinte belustigt zu ihr: „Nein, aber das ist witzig, wie der Umhang sich immer wieder zurückbeamt.“
Mit der Hand klatschte sie sich ins Gesicht und stöhnte: „Ernsthaft?“
Daraufhin setzten sich auch die beiden in Bewegung und folgten Kuro. Durch das ganze menschenleere Schulgebäude wanderten sie, konnten aber nichts Merkwürdiges ausfindig machen. Einzig der Strom funktionierte nicht, wodurch die Schüler wortwörtlich im Dunkeln tappten. Den Jungs machte das wenig, denn ihre Smartphones hatten eine Taschenlampe. Rin hingegen war in dieser Hinsicht aufgeschmissen und musste darauf achte den beiden dicht auf den Fersen zu sein.
„Ich verstehe nicht was hier los ist“, kam es schließlich von Akira, „Ich hab den Schlüssel in der Tür gedreht und auf der anderen Seite wurde es Nacht und der Strom ist ausgefallen?“ „So könnte man es sagen. Die Frage ist nur warum?“, antwortete die Blauhaarige. Kuro plapperte dazwischen: „Ich gehe jetzt aufs Dach. Das ist der einzige Ort an dem wir noch nicht waren.“
Zu dritt machten sie sich daraufhin auf den Weg. Da gab es keine Diskussionen. Der Schwarzhaarige würde sowieso machen was er wollte, da waren sich die anderen beiden ziemlich sicher.
Oben angekommen stellte Akira fest: „Die Straßenlaternen sind auch aus. Man würde ja gar nichts sehen, wenn der Mond nicht ein klein wenig Licht machen würde.“
Wo er Recht hatte, hatte er Recht.
„Was ist denn das da hinten für ein Leuchten?“, krallte sich Rin am Schutzgitter fest und deutete in die Richtung der Wohnhäuser. „Das ist so weit weg, man kann fast gar nichts erkennen. Aber da hinten ist doch ein Wohnviertel, oder?“, kam es von dem Rotschopf. Etwas desinteressiert blickte nun auch Kuro in die Richtung und meinte trocken: „Sieht aus wie Feuer.“
Schlagartig rissen die beiden anderen geschockt ihre Augen auf und sahen sich gegenseitig an. Der Schwarzhaarige musterte sie daraufhin, als wären sie komplett bescheuert: „Was ist denn mit euch verkehrt?“
„Das ist doch die Richtung…“, stockte das Mädchen. Akira beendete dann ihren Satz: „… in der Amika Shiori wohnte.“
„Aber das muss ein anderes Haus sein“, erklärte die Schülerin, „Das von Ami ist doch schon vor Ewigkeiten abgebrannt.“ „Normalerweise schon…“, grübelte ihr Klassenkamerad.
Kuro jedoch blieb weiterhin unbeeindruckt: „Na und? Ist doch nichts Ungewöhnliches, wenn es mal irgendwo brennt.“
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen :)
Über Kommenatre würde ich mich wie immer sehr freuen <3