Kapitel 21 - Leichtsinn


Donnerstag, 23. April 2015

 

„So langsam glaub ich wirklich, dass du ein Unmensch bist!“, bäumte sich Skye wutentbrannt vor Kuro auf. „Was ist denn mit dir los?“, blickte er den Kleinen irritiert an. „Wie kannst du Rin so lange arbeiten lassen?!“, meckerte er wütend, „Und dann auch noch alleine mit der Straßenbahn fahren lassen?! Mitten in der Nacht! Sie ist zwar wenig mädchenhaft, aber trotzdem wehrlos! Wenn ich nicht zufällig da gewesen wäre, wäre sonst was passiert!“ „Ich habe ihr gesagt, dass sie sich fahren lassen soll!“, stemmte der Schwarzhaarige genervt die Hände in die Hüfte und beugte sich zu seinem Gesprächspartner herunter, „Was kann ich dafür, wenn diese Nervensäge so widerspenstig ist?!“ „Ach echt?“, verflog die Wut des Jüngsten augenblicklich und er begann zu grübeln. „Was meinst du eigentlich damit, dass sonst was passiert wäre?“, beruhigte sich der Suzuki-Erbe ebenfalls wieder, „War was?“ Beiläufig erklärte Skye was letzte Nacht passiert war: „Ja, sie wurde von so einem Kerl bedroht und konnte sich nicht wehren vor Angst. Ich habe sie dann aus der Bahn gezerrt. Ein Glück, dass ich mir Sorgen gemacht habe und sie suchen gegangen bin.“ „Bitte was?!“, fiel der junge Mann aus allen Wolken.

„Das heißt ich muss Rin die Hölle heiß machen und nicht dir?!“, führte der Jüngste ein anderes Gespräch, „Man! Warum ist sie nur immer so leichtsinnig?! Sie ist doch trotzdem ein Mädchen.“ „Kannst du mir jetzt bitte mal erläutern was da passiert ist?!“, wurde Kuro etwas nervös. „Da gibt’s nichts zu erläutern! Pass gefälligst besser auf sie auf! Und wehe du lässt sie nochmal so lange arbeiten oder gar zu so später Stunde alleine heimgehen!“, ermahnte der Schwarz-Blauhaarige den Älteren. Dieser konnte es nicht glauben, dass er soeben Befehle von einem Zehnjährigen bekam: „Ich bin doch nicht ihr Babysitter! Sie ist alt genug, um ihr Hirn zu benutzen. Geh und meckere sie an und nicht mich!“ „Keine Sorge, das werde ich“, bestätigte Skye.

Doch noch ehe das Gespräch zu Ende war, hatte der kleine Mann noch etwas zu sagen: „Ach und noch was: Sorge dafür, dass sie erreichbar ist. Die momentane Situation geht mal gar nicht!“ „Verlangst du gerade von mir, dass ich ihr ein Handy kaufe?!“, konnte es der Schwarzhaarige nicht fassen. „Ja!“, festigte der Jüngste seine Aussage nochmal.

Wütend sah der Suzuki-Erbe sein Gegenüber an. Wie konnte es ein kleiner Junge wie er nur wagen ihm Befehle zu erteilen?! Als ob er sich von einem kleinen Pimpf etwas sagen lassen würde!

„Du hast mir gar nichts zu befehlen! Wenn es dich stört, dann kauf ihr selbst ein Handy!“, verschränkte der Ältere die Arme und sah zur Seite. „Du bist genauso ignorant wie Rin. Statt einmal das zu machen, was man euch sagt, macht ihr absichtlich das Gegenteil. Werdet endlich erwachsen“, schnaubte der Schwarz-Blauhaarig genervt und schien es aufzugeben.

Kuro hingegen nervte es gerade tierisch, dass er von einem kleinen Kind mit einem kindischen Mädchen verglichen wurde. Irgendwie hatte Skye mit dem was er sagte zwar recht, andererseits war der junge Mann in keiner Weise dazu verpflichtet sich derart um seine Assistentin zu kümmern. Eigentlich konnte es ihm total egal sein, warum also wühlte es ihn so dermaßen auf?

„Du kommst zu spät zur Schule! Mach, dass du wegkommst!“, wechselte er schließlich das Thema und verscheuchte seinen kleinen Besucher aus dem Suzuki Anwesen. „Du doch auch“, gab er genervt kontra. „Ich hab keine Zeit für Schule.“

 

Am späten Abend, als bereits die meisten Schüler in ihren Betten lagen, saß Rin motzig im Schneidersitz vor dem großen Schwimmbecken im Keller des Wohnheims. Sie hatte ihren Schulbadeanzug angezogen und ein Handtuch hing über ihren Schultern. Den linken Ellbogen stützte sie auf ihrem Bein ab, während die Hand ihren Kopf hielt. So saß sie dort, widerwillig und starr wie eine Salzsäule, mit Blick aufs Wasser gerichtet. Neben dem Mädchen stand Skye mit verschränkten Armen und sah wortlos zu ihr herunter. Es schien als würde er auf etwas warten.

„Du hast zwei Optionen. Entweder du gehst endlich ins Wasser“, machte der Schwarz-Blauhaarige eine kurze Pause, „Oder du versuchst deine Kraft gezielt anzuwenden.“ „Ich geh da nicht rein“, meckerte die Oberschülerin.

Er hatte zwar absichtlich einen Zeitpunkt ausgewählt zu dem die Schwimmhalle menschenleer war, damit keiner in irgendeine Gefahr involviert werden würde, aber wenn sie sich nicht bewegte, brachte das schlussendlich auch nichts. Der Blauhaarigen passte es nämlich gar nicht, dass er sie ins Untergeschoss geschleift hatte. Aber das war nicht das einzige was sie verstimmt hatte. Zuvor konnte sie sich noch eine ewig lange Standpauke von dem Kleinen anhören, wegen des gestrigen Vorfalls. Im Grunde hatte er zwar recht, aber das wollte sie nicht einsehen. Zumal sie sich nichts von einem kleinen Kind sagen lassen wollte. Außerdem hatte sie einen echt langen und stressigen Tag, weswegen sie eigentlich nur noch in ihr Bett wollte.

„Dann kümmern wir uns vorerst mal um deine Kräfte. Du musst unbedingt lernen sie zu benutzen. Aber früher oder später musst du auch schwimmen lernen“, meinte Skye. „Muss das heute sein? Ich bin müde und will schlafen“, quengelte Rin herum, „Können wir das nicht generell sein lassen? Wozu soll ich überhaupt lernen mit dieser blöden Kraft umzugehen? Ich brauche sie nicht und finde sie unheimlich!“ Der Jüngere schnaubte nur schwer: „Leider brauchst du sie mehr als du denkst, also hör auf mit mir zu diskutieren. Außerdem haben wir eine Abmachung. Ich halte mich daran und gehe in diese blöde Grundschule. Jetzt bist du dran deinen Part zu erfüllen.“

Sichtlich genervt stand die Blauhaarige auf und verschränkte die Arme vor der Brust: „Ist ja in Ordnung. Aber wenn hier irgendwas außer Kontrolle gerät, bin ich raus.“ „Das wird schon nicht passieren“, entgegnete der Grundschüler erfreut. „Und?“, hakte das Mädchen nach, „Was soll ich nun tun?“ „Erstmal solltest du versuchen mit deinem Element in Einklang zu kommen. Setz dich im Schneidersitz in Richtung Schwimmbecken und halte deine Handflächen aneinander. Dazwischen legst du den Saphir“, erklärte sich der Schwarz-Blauhaarige. „So?“, kam es von der Älteren, als sie getan hatte, was er befahl, „Und jetzt?“ „Blende alles um dich herum aus und versuche das Wasser zu fühlen. Am besten schließt du die Augen dazu“, gab er weitere Anweisungen. „Na sag doch gleich ich soll meditieren“, verzog Rin das Gesicht, „Aber das wird nichts. Ich bin nicht gut in solchem Kram.“ „Versuchs einfach“, ignorierte der Jüngste ihre Bedenken.

Es dauerte tatsächlich keine fünf Minuten, ehe die Blauhaarige die Geduld verlor und plötzlich lauthals aufsprang: „Ah! Das funktioniert nicht! Das Wasser fühlen?! Was soll das für eine dumme Übung sein?!“

Der kleine Mann, welcher unmittelbar neben ihr stand, zuckte durch ihren heftigen Wutausbruch zusammen und sah fassungslos dem Geschehen zu. Nicht nur, dass das Mädchen wie irre herumbrüllte, nein, denn durch ihren zügellosen Gefühlsausbruch begann auch das Wasser im Becken leichte Wellen zu schlagen.

„Beruhig dich!“, erhob Skye seine Stimme, „Schau dir mal diesen Wellengang an!“ „Wo kommen die denn schon wieder her?!“, machte sich Panik in der Oberschülerin breit. „Das liegt daran, dass du deine Gefühle nicht unter Kontrolle hast! Also komm mal runter!“, schimpfte der Jüngere.

Nachdem sich die Aufgebrachte wieder beruhigte, versuchte der Grundschüler eine andere Übungsmethode anzuwenden. Diese hatte zwar weniger mit Meditation zu tun, war jedoch auch mit Geduld und Konzentration verbunden.

Wild fuchtelte das Mädchen daraufhin mit den Händen herum, um irgendwie einen kleinen Teil des Wassers vor ihr zu bewegen. Allerdings tat sich nichts.

„Was machst du da?“, beäugte der Schwarz-Blauhaarige die Versuche, „Ich habe dir doch gerade eben gezeigt, wie du deine Arme bewegen musst. Fließend und sanft. Genau wie Wasser. Was du da machst sieht aus wie ein Affentanz.“ „Du nervst! Ständig meckerst du nur herum und kritisierst mich! Wenn du so weitermachst wirst du noch schlimmer als Kuro“, verschränkte sie wütend die Arme und blies beleidigt ihre Wangen auf. „Ist ja schon gut. Versuche es einfach nochmal. Je eher du das hinbekommst, umso schneller kannst du ins Bett gehen“, schnaubte Skye genervt.

Es dauerte einige Zeit, bis Rin es tatsächlich aus eigener Kraft schaffte ein handflächengroßes Wassergebilde zwischen ihren Händen schweben zu lassen. Zwar sollte es eigentlich gleichmäßig rund sein, doch für den Moment war sie auf ihr unförmiges Etwas schon stolz genug.

Doch noch bevor sie ihrer Begeisterung Ausdruck verleihen konnte, lenkte plötzlich ein dumpfes Knallen ihre Konzentration ab. Verschreckt zuckte sie zusammen und zog den Atem nach innen, während ihr Gebilde bombenartig platzte und sie nassspritzte. In Folge dessen erschrak sie erneut und quiekte auf, als sie gleichzeitig für ein paar Millisekunde völlig vom Erdboden verschwunden war.

„Was war das für ein Geräusch?“, sah sich der Kleinste suchend um. Die Blauhaarige hatte jedoch andere Sorgen: „Ihh, jetzt bin ich nass!“ „Warst du gerade unsichtbar?“, drang eine vertraute Stimme durch die Schwimmhalle.

Im selben Moment trat Ruri mit ungläubiger Miene aus dem Eingangsbereich hervor. Direkt neben ihr lag ein großer Rucksack auf dem Boden, welcher vermutlich durch den Aufprall für das laute Geräusch verantwortlich war. Neugierig, aber auch verwirrt kam sie auf die beiden Anwesenden zugelaufen.

Nun waren sie aufgeflogen. Zu hundert Prozent hatte die Schulsprecherin eben gesehen was Rin mit dem Wasser angestellt hatte. Aber eigentlich war der Blauhaarigen egal, ob sie es wusste oder nicht. Nur der Aspekt mit der Unsichtbarkeit erschloss sich ihr nicht. Was meinte ihre Klassenkameradin damit? Während sie darüber nachdachte, hatte der Jüngste ganz andere Sorgen, denn im Gegensatz zu ihr, rannen ihm die Schweißperlen von der Stirn. Wie sollte er der Eisblauhaarigen das Phänomen logisch erklären, welches sich soeben vor ihren Augen abspielte? Es war gar nicht gut, dass Außenstehende etwas davon mitbekamen.

„Was meinst du mit unsichtbar?“, legte die Ältere den Kopf schief. „Na, du warst gerade eben für eine Sekunde durchsichtig“, blieb Ruri vor ihr stehen, „Und was war das mit dem Wasser? Kannst du das kontrollieren?“ „So irgendwie“, kratzte sich die Blauhaarige verlegen am Hinterkopf, „Ich habe da so eine komische Gabe, aber das Ganze ist total schwer. Außerdem will ich das eigentlich gar nicht können. Wasser ist gruselig.“ Kurz lachte die Schulsprecherin auf: „Dann warst du also für das Tsunamibad letzte Woche verantwortlich?“ „Irgendwie schon. Tut mir leid“, grinste Angesprochene schief.

„Du nimmst das ja ganz schön locker, dafür dass du gerade etwas Übernatürliches gesehen hast“, bemerkte Skye, „Und du Rin, solltest das Ganze nicht einfach an Außenstehende ausplaudern. Das kann gefährlich enden.“ „Ist ja gut. Aber sie wird mich schon nicht verpfeifen, oder?“, richtete sie einen fragenden Blick zu ihrer Klassenkameradin. „Natürlich nicht“, schüttelte diese den Kopf und wandte sich an den Kleinsten, „Wer bist du eigentlich? Und was machst du mitten in der Nacht im Oberschulwohnheim?“

Noch während der Schwarz-Blauhaarige nach einer sinnvollen Antwort suchte, hatte die Oberschülerin schon ausgeplaudert, dass er bei ihr wohnen würde, weil er keine Bleibe hatte. Zwar fand Ruri das Ganze mehr als merkwürdig, sagte jedoch nichts weiter dazu und beließ es dabei. Im Grunde war es ja nicht ihre Angelegenheit und einmischen wollte sie sich nicht. Einzig eine Warnung sprach sie aus, dass sie sich nicht erwischen lassen sollten.

„Und wer bist du?“, stellte der kleine Mann eine ähnliche Frage, „Bist du mit Rin verwandt?“ „Warum denkt das jeder?“, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken. Ihrer Mitschülerin hingegen huschte nur ein kurzes Schmunzeln über die Lippen, ehe sie erklärende Worte parat hatte: „Nein, nein wir sind nicht verwandt. Wir sehen uns einfach nur etwas ähnlich durch die Frisur. Ich bin Ruri Miuna.“ „Sicher, dass ihr nicht verwandt seid?“, konnte Skye diese Aussage nicht wirklich akzeptieren woraufhin die beiden Mädels weitere Kontraargumente aufzählten. Nachdem der Jüngste dann von den Geburtsdaten und den Familienverhältnissen gehört hatte, glaubte er den Oberschülerinnen.

„Okay, Rin hat keine weiteren Verwandten und Ruris Familie ist nicht mal aus Aehara. Und da ihr einen Altersunterschied von einer Woche habt, könnt ihr auch keine Geschwister sein“, fasste er die Fakten nochmal zusammen. „So siehts aus“, nickte die Blauhaarige.

Da dieses Thema nun abgehakt war, kam Rin erneut auf ihre angebliche Unsichtbarkeit zu sprechen. Ihr Zimmergenosse überlegte daraufhin kurz, ehe er sich äußerte: „Halt mal die Luft an.“ „Halt du sie doch an!“, meckerte die Blauhaarige. „Das war wörtlich gemeint“, rollte er mit den Augen, „Halt deine Luft an und konzentrier dich darauf unsichtbar zu werden.“ „Ach so“, verstand sie seine Anweisung zuvor falsch.

Gesagt getan, blies sie die Wangen auf und stoppte ihre Atmung. Wie aus dem Nichts verschwand sie daraufhin plötzlich. Erst als sie erneut Luft holen musste, wurde sie wieder sichtbar.

„Ich fass es nicht“, starrte Skye skeptisch zur Blauhaarigen, „Das kannst du auf Anhieb, aber dein Element beherrschst du nicht?!“ „Wow wie cool! Aber muss ich dafür echt die Luft anhalten?“, war Rin in ihrer eigenen Welt. „Ich vermute mal, dass du das auch ohne angehaltenen Atem kannst. So geht es wahrscheinlich nur einfacher“, meldete sich Ruri zu Wort.

Der Schwarz-Blauhaarige bestätigte ihre Vermutung. Auch, wenn mal wieder keiner wusste woher der Kleine sein Wissen darüber hernahm.

Nachdem die drei sich noch eine Weile unterhalten hatten, machten sie sich wieder auf den Weg zurück in ihre Zimmer. Es war schon ziemlich spät geworden und ihnen blieb kaum noch Zeit zum Schlafen übrig, bevor die Schule wieder anfing.

„Findest du es nicht auch eigenartig, dass deine Klassenkameradin das alles gar nicht so vom Hocker gerissen hatte? Jeder andere Mensch wäre doch ausgeflippt, wenn er so etwas Übernatürliches zu Gesicht bekommen hätte“, fragte Skye die Ältere, welche sich soeben zu ihm ins Bett gesellte. Diese gähnte herzhaft und blieb ziemlich unbeeindruckt: „Es gibt auf der Welt viele Leute, die an solche Dinge glauben. Da sind sie eben etwas unbeeindruckter, wenn sie mal etwas derartiges zu sehen bekommen.“ „Ich weiß ja nicht“, stellte es ihn nicht zufrieden, „Und dann noch dieser große Rucksack. Wenn da ihre Badesachen drin gewesen wären, wieso hat sie sie nicht vorher angezogen? Also war da doch was anderes drin, oder? Und wenn nicht, wer geht bitte mitten in der Nacht schwimmen?“ „Ist doch egal…“, murmelte das Mädchen im Halbschlaf.

 

 

Freitag, 24. April 2015

 

Nervös saß Rin in der Umkleidekabine der Schwimmhalle. Während alle anderen Mädchen fröhlich durcheinanderplapperten und sich umzogen, blieb die Blauhaarige wie versteinert.

„Willst du dich nicht umziehen?“, trat Ruri vor sie, bekam jedoch keine Antwort.

Erneut versuchte die Schulsprecherin zu Angesprochener durchzudringen, woraufhin diese sich endlich bewegte. Zögerlich kramte sie ihren Badeanzug heraus und nur langsam zog sie sich auch um. Natürlich wollte sie das nicht, denn auf den Schwimmunterricht konnte sie gut und gerne verzichten.

„Komm her, ich flechte dir die Haare“, bot die Eisblauhaarige ihre Hilfe an, „Oder möchtest du lieber einen Dutt?“ Mit einem kurzen Nicken nahm Rin das Angebot ihrer Klassenkameradin an: „Danke. Ich mag es lieber, wenn sie geflochten sind.“

Während die beiden Mädchen noch beschäftigt waren, wurde die Umkleide leerer und leerer, bis sie schließlich als letzte zurückblieben.

„So, fertig“, fixierte Ruri den Zopf mit einem Haargummi. „Dann mache ich dir jetzt deine Haare“, grinste die Stipendiatin frech und machte sich ans Werk.

Kaum hatte sie damit begonnen die lange Mähne zum Flechten dreizuteilen, staunte Rin nicht schlecht: „Ich dachte dein Haar sei einheitlich blau, aber da ist ja eine ganz hellblonde Strähne dabei.“ „Ja, die ist furchtbar“, schien es Angesprochener gar nicht zu gefallen, „Zum Glück sieht man sie kaum.“ „Warum denn das? Das ist doch total genial“, staunte Begeisterte nicht schlecht. „Ich mag sie einfach nicht“, schien die Eisblauhaarige keinen triftigen Grund zu haben.

Nach einer kurzen Weile waren die beiden Oberschülerinnen endlich fertig und die Schülersprecherin ging schonmal vor, da der anderen auffiel, dass sie nochmal auf die Toilette musste.

 

Nervös betrat Rin schließlich die große Schwimmhalle der Suzuki Oberschule. Zwar hatte sie nun tatsächlich ihren Badeanzug angezogen, aber ins Wasser würde sie definitiv nicht gehen. Vorerst gesellte sich das Mädchen aber zu ihren Klassenkameraden, welche alle vor dem Becken standen und wild umherplapperten, während sie auf Anweisungen warteten.

„Kannst du denn nun eigentlich schwimmen?“, hakte Ruri nach. „Nein“, grinste Angesprochene schief, „Ich befürchte das wird auch nicht so bald passieren.“ „Dann darfst du sicherlich das Schwimmbrett als Hilfe benutzen. Ich helfe dir beim Üben, wenn du willst“, lächelte die Eisblauhaarige lieb. „Keine Sorge. Ich hab schon einen Plan“, stemmte die Wasserscheue die Hände in die Hüfte und grinste siegessicher. Ihr Gegenüber hingegen war sichtlich irritiert: „O-Okay?“

Kurz darauf kam auch schon die Lehrerin mit der Anweisung zum Einschwimmen um die Ecke, woraufhin die Schülermasse sich in Bewegung setzte. Einzig die beiden Mädchen und Kuro blieben zurück.

„Kommst du nicht mit?“, setzte Ruri zum Gehen an. „Wie gesagt habe ich einen Plan“, erklärte die Blauhaarige, „Geh ruhig ohne mich.“

Daraufhin machte sich die Schülersprecherin alleine auf den Weg ins Becken.

„Und was ist nun mit dir?“, kam der Suzuki-Erbe mit verschränkten Armen auf Zurückgebliebene zugelaufen, „Dir ist klar, dass du früher oder später Schwimmen musst, damit du nicht von der Schule fliegst, oder?“ „Lass mich in Ruhe“, blies die Blauhaarige beleidigt ihre Wangen auf und sah demonstrativ in eine andere Richtung.

Viel Zeit um einen Streit vom Zaun zu brechen hatten sie dieses Mal nicht, denn die Aufmerksamkeit der Lehrerin war ihnen bereits sicher. Auch einige der Mädchen blickten mit einer Mischung aus Eifersucht und Wut dem Geschehen zu. In ihren Augen musste es wohl so wirken, als seien sich Rin und Kuro recht nahe.

„Was ist denn mit euch beiden? Hopp, hopp, ab ins Wasser“, deute die junge Frau auf das Schwimmbecken. „Ich kann doch nicht schwimmen, Ayase-sensei“, gab die Blauhaarige siegessichere Widerworte. Kurz hielt die Lehrerin zum Nachdenken inne: „Ach stimmt ja. Wie machen wir das am besten?“ „Wie auch immer Sie das regeln“, mischte sich nun auch der Schwarzhaarige ein, „Bedenken Sie, dass Rin ein Sportstipendium hat. Durch nicht Teilnahme oder eine schlechte Wertung, verliert sie es.“ „Ach ja, da war was…“, schnaubte die junge Frau schwer.

Triumphierend grinste der Suzuki-Erbe daraufhin seine Mitschülerin an, welche ihn mit böser Miene anfauchte. Am liebsten wäre sie ihm wohl an die Gurgel gesprungen für diese fiese Aktion, versuchte aber ruhig zu bleiben, weil sie keinen Ärger bekommen wollte. Nachdem Kuro frech grinsend seine Hand auf ihren Kopf legte und ihre Haare verwuschelte, ging er wortlos ins Schwimmbecken. Zurück blieb eine zerzauste Rin, welche kaum innehalten konnte.

„Nimm dir am besten eines der Schwimmbretter und versuche damit erstmal das Schwimmen zu lernen. Am besten wäre es, wenn du auch in deiner Freizeit etwas übst“, erklärte die schwarzhaarige junge Frau, „Da du ein Stipendium hast, kann ich dich nicht einfach vom Unterricht befreien. Beim Schwimmen ist das zwar unter bestimmten Voraussetzungen kein Problem, aber hier ist die Sachlage anders.“ „Aber heute kann ich dennoch nicht schwimmen“, versuchte die Blauhaarige sich noch immer zu drücken. „Bist du irgendwie krank?“, verstand die Lehrerin nicht recht. „Nicht direkt“, druckste die Oberschülerin herum, „Aber ich habe meine Tage. Und ganz abgesehen davon habe ich eine Art Allergie gegen Wasser.“ „Allergie? Gegen das Chlor oder wie?“, hakte die Schwarzhaarige nach. Wieder haderte Rin: „Nicht so direkt. Das ist schwer zu erklären.“ „Also, wie auch immer. Solange mir kein ärztliches Artest vorliegt, kann ich dir leider nicht helfen. Für heute musst du nicht ins Becken, wenn du möchtest, aber in Zukunft wirst du nicht drumherum kommen“, erklärte die junge Frau.

Erleichtert atmete die Stipendiatin auf. Fürs Erste hatte sie sich gerettet. Allerdings würde sie die Wochen drauf wieder vor demselben Problem stehen. Aber nun hatte sie wenigstens etwas Zeit herausschlagen können für einen neuen Plan, da durch die Golden Week erst wieder in zwei Wochen Schwimmunterricht war.

Eigentlich wollte sie ihre Lehrerin irgendwie davon überzeugen sie generell von diesem Unterricht zu befreien. Allerdings hatte ihr da ein gewisser Jemand einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als hätte er ihr Vorhaben geahnt.

 

Den Abend brachte Rin wieder damit zu ein wenig das Chaos in Kuros Büro zu bearbeiten. Sie kam nur langsam voran, weil diese Arbeit Neuland für sie war. Außerdem hatte sie den Eindruck, dass jeden Tag wieder neue Haufen auftauchten.

Völlig in Gedanken versunken, wühlte sie sich durch die Papierlandschaft, als auf einmal die Bürotür aufgerissen wurde. Durch das plötzliche Geräusch erschrak die Blauhaarige und zog den Atem nach innen, was sie kurzzeitig unsichtbar machte.

„Was war das denn?“, schloss Kuro die Tür hinter sich. „Was denn?“, hatte sie nichts mitbekommen. Voller Erstaunen schritt er auf die Oberschülerin zu: „Du warst kurz weg.“ „Ist es schon wieder passiert?“, freute sich Rin, „Cool oder? Das kann ich seit gestern.“ „Findest du das witzig? Was machst du, wenn dich jemand dabei erwischt? Immerhin hast du das scheinbar nicht unter Kontrolle“, konnte er es nicht fassen. „Reg dich doch nicht gleich so auf. Ich werde das noch ein bisschen trainieren. Außerdem tut es ja keinem weh, wenn man es sieht“, zuckte das Mädchen mit den Schultern. „Sag mal, denkst du überhaupt irgendwann mal mit? Wenn die falschen Leute diese übernatürlichen Kräfte zu Gesicht bekommen, kann das für dich böse enden. Menschen sind neugierig und wollen Unbekanntes erforschen. Egal mit welchen Mitteln“, versuchte er ihr Vernunft einzubläuen. „Machst du dir etwa Sorgen um mich?“, konnte die Blauhaarige sich diese Frage nicht verkneifen.

Frech grinste sie ihn an, während er nur entnervt schnaubte und sich an seinen Schreibtisch setzte. Er hatte es wohl aufgegeben. Immerhin hörte sie ihm eh nur mit halbem Ohr zu.

„In Mangas wird davor auch immer gewarnt, dass man nicht auffliegen darf. Aber was soll denn schon passieren? Als ob sie die Hüter der Gerechtigkeit einfangen würden, nur weil sie neugierig sind“, erklärte Rin ihre Ansichten. „Es ist trotzdem eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das passiert. Außerdem bist du keine Hüterin der Gerechtigkeit und im schlimmsten Fall ziehst du mich, Akira und deine beste Freundin auch mit rein! Also pass einfach auf“, ermahnte er seine Assistentin erneut.

Scheinbar zeigte es Wirkung, denn die Oberschülerin gab keine Gegenargumente mehr. Wenn es um andere ging hatte sie generell eine vernünftigere Sicht auf die Dinge.

„Ach übrigens“, begann der Suzuki-Erbe, „Kauf dir ein neues Handy. Als meine Assistentin musst du erreichbar sein.“ „Vergiss es“, kam es kurz angebunden zurück, während die Blauhaarige in die Unterlagen vertieft war.

„Kauf dir eins oder ich tue es“, drohte der Schwarzhaarige. Aber noch immer blieb das Mädchen unbeeindruckt: „Mach was du willst. Ich benutze es aber nicht.“ „Oh, das wirst du. Ich werde es nämlich von deinem Lohn kaufen“, grinste der junge Mann selbstgefällig. Rin gefiel das allerdings gar nicht, weswegen sie lauthals aufsprang: „Wage es ja nicht! Ich brauche so ein blödes Ding nicht!“ „So unvernünftig wie du immer bist, wirst du früher oder später noch entführt. Noch hast du die Chance selbst zu entscheiden“, wandte er sich nicht von seinem Computerbildschirm ab. Trotz Verwirrung über den Zusammenhang, zeigte sie noch immer kein Verständnis: „Warum entführt? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?! Ich will kein Telefon, basta! Wenn du mich wegen der Arbeit erreichen willst, dann organisiere eben ein Arbeitshandy!“ „Ach ja?“, sah Kuro seine Assistentin ernst an, „Und was war die vorletzte Nacht in der Straßenbahn? Hätte Skye dir nicht aus der Klemme geholfen, wäre weiß Gott was passiert!“ „Stalkst du mich oder was?! Das ist gegen die Privatsphäre!“, keifte sie ihn an. „Würdest du dich einmal an das halten was man dir sagst, gäbe es diese ganzen Probleme nicht! Ich habe dir extra gesagt, dass Joel dich fährt. Du hättest auch hier übernachten können“, war das Telefon für den Suzuki-Erben vom Tisch, „Warum benimmst du dich nur immer so unvernünftig? Du bist doch kein kleines Kind mehr! Und auch keine Prinzessin, die immer von ihrem Ritter gerettet wird!“ „Hör auf zu nerven! Ich kauf mir ja ein Handy…“, schmollte das Mädchen und setzte sich wieder hin.

Sie wusste selbst nicht was sie sagen sollte, denn er hatte recht. Obwohl es ihr manchmal gar nicht auffiel, verhielt sie sich recht oft unvernünftig und machte Fehler. Allerdings merkte sie das bisher leider immer zu spät.

Während sie noch weiter darüber nachdachte, konnte sie im Augenwinkel ein blaues Schimmern aus Kuros Richtung entdecken. Es war wieder einer dieser blau leuchtenden Schmetterlinge, welcher ihr verdeutlichte, dass der Social Link sich erweitert hatte. „Komischer Zeitpunkt“, nuschelte die Oberschülerin.

„Du kapierst es immer noch nicht, oder?“, war der Schwarzhaarige noch nicht fertig, „Es geht schon lange nicht mehr nur um das dumme Telefon. Es geht darum, dass du nicht nachdenkst was du tust!“ „Du nervst! Kannst du dich nicht um deinen eigenen Kram kümmern? Was geht’s dich an, was ich tue? Solange ich die Arbeit mache, ist doch alles in Ordnung!“, knurrte Rin ihn an.

Sein ewiges Gemeckere brachte die Oberschülerin noch zur Weißglut. Allerdings war er ziemlich in Fahrt und konnte es einfach nicht lassen: „Und deine Versuche dich vor dem Schwimmen und deiner Kraft zu drücken sind genauso kindisch! Nur weil du keine Lust hast benimmst du dich wie ein bockiges Kleinkind!“

Statt ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, blieb das Mädchen auf diese Aussage hin, jedoch ruhig. Sie stand auf und lief herüber zu Kuros Schreibtisch, vor welchem sie stehenblieb. Ein ernster Blick traf den Schwarzhaarigen und mit ruhigen Worten brachte die Oberschülerin heraus: „Menschen tun Dinge niemals grundlos.“

Kaum hatte sie gesagt was sie wollte, verschwand sie aus dem Raum.

„Was war das?“, lief dem Suzuki-Erben ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter.


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