Kapitel 18 - In der Zeit geirrt


Montag, 20. April 2015

 

Am frühen Morgen kam Rin panisch aus dem Wohnheim gerannt. Obwohl die Schule erst in eineinhalb Stunden anfangen würde, hatte sie trotzdem verschlafen, denn sie wollte noch unbedingt Amika besuchen. Diese sollte nun endlich wieder aufgewacht sein, nachdem sie in der letzten Nacht den Endgegner zu Fall gebracht hatten.

Rennend begab sich die Blauhaarige dazu zur Shiroshi Central Station, um die U-Bahn nach Aoichi-kû zum Zentralkrankenhaus zu nehmen. Im Schlepptau hatte sie bereits all ihre Schulutensilien, um im Anschluss direkt zum Unterricht zu gehen. Auch Skye begleitete das Mädchen. Allerdings hatte er es sich als Vögelchen in ihrem Rucksack bequem gemacht und schlief noch eine Runde.

 

Endlich angekommen, stürmte die Blauhaarige förmlich ins Zimmer ihrer besten Freundin. Anklopfen vergas sie völlig, weswegen sie erschrocken von vier Augenpaaren gemustert wurde.

„Rinacchi!“, kam es freudestrahlend von Amika, welche auf ihrem Krankenbett saß.

Neben ihr stand eine Krankenschwester, mit Klemmbrett in der Hand und notierte sich etwas, während auf der anderen Bettseite die Eltern der Rotbraunhaarigen auf zwei Hockern saßen. In den anderen Betten, welche im Raum standen, schliefen die Patienten und bekamen nichts mit.

Trotz allem hatte Rin einen ziemlich schlechten Zeitpunkt für den Besuch gewählt, wie sie fand.

„H-Hi…“, lief die Blauhaarige zögerlich ans Bett ihrer Freundin und umarmte diese, „Ich hatte solche Angst, dass du vielleicht gar nicht mehr aufwachst.“

Als Antwort bekam sie daraufhin nur ein Lächeln.

„Gehst du nun auf die Suzuki Akademie, Rin-chan?“, kam es erstaunt aus der Mutter. Verlegen kratzte sich Angesprochene am Hinterkopf: „Äh, ja. Ich habe mein Stipendium zurück.“ „Oh, wow. Ich wusste gar nicht, dass du so schlau bist“, mischte sich nun auch der Vater ins Gespräch. „Da könnte sich unsere Amika doch glatt eine Scheibe abschneiden“, lächelte die Dunkelrothaarige die Stipendiatin an.

Während diese immer verlegener wurde, schaute die Brünette mittlerweile ziemlich betrübt drein. Natürlich entging das der Blauhaarigen keineswegs und sie versuchte sich irgendwie wieder herauszureden: „Ach, wissen Sie… Das ist nur ein Sportstipendium. Wenn es um dieses theoretische Zeug geht, dann verstehe ich nur Bahnhof. Da ist Ami viel schlauer und erklärt mir immer alles.“

Verdutzte und sprachlose Blicke trafen das Mädchen, welches schief vor sich hin grinste.

Diesen Moment des Schweigens ergriff die Krankenschwester: „Die Tests sind soweit alle positiv verlaufen. Wie es aussieht, können wir Ihre Tochter bereits am Nachmittag wieder entlassen.“

Die Gesichter aller Beteiligten hellten sich auf und waren froh, dass es der Brünetten soweit gutging. Da es noch Papierkram auszufüllen gab, verlies die Krankenschwester zusammen mit den Eltern der Schülerin den Raum. Zurück blieben die beiden Mädchen.

„Tut mir leid“, plumpste Rin deprimiert auf einen der Hocker. „Was denn?“, verstand ihr Gegenüber überhaupt nichts. „Ich wollte mich nicht in den Vordergrund drängen. Aber deine Eltern haben nun mal gefragt. Es war dumm von mir in Schuluniform hier aufzuschlagen“, senkte sie den Kopf. „Blödsinn. Abgesehen davon ist mir eh egal was sie über mich denken“, verschränkte die Brünette die Arme, „Erzähl mir lieber wie du es in dieser kurzen Zeit auf die Suzuki geschafft hast.“ „Das ist eine lange Geschichte“, legte die Blauhaarige den Kopf schief, „Außerdem hab ich auch noch einen Haufen Fragen an dich.“ „Na, dann fang besser mal an mit erzählen und verschwende keine Sekunde“, konnte es Amika kaum mehr erwarten.

Das Mädchen ließ sich somit breitschlagen und sie erzählte ihr davon wie sie wieder an ihr Stipendium gekommen war. Auch, dass sie nun den Laufburschen für Kuro spielen musste ließ sie dabei nicht aus. Als sie endlich mit der Erzählung fertig war, forderte sie auch von ihrer Freundin Antworten. Sie wollte Genaueres von dem Feuer, von Kaori, ihren Elementarkräften und allem was sie verpasst hatte wissen.

„Ich verstehe selbst nicht genau was das für eine eigenartige Kraft ist, die ich da erhalten habe. Am Anfang dachte ich noch, dass es total cool ist mit Feuerbällen um sich zu werfen. Aber es ist eigentlich nur gefährlich, denn damit habe ich Kaori umgebracht“, senkte sie betrübt den Blick. „Ich glaub ja kaum, dass du das mit Absicht gemacht hast“, blickte Rin kritisch drein. „Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich mir ziemlich oft gewünscht, dass sie tot wäre“, kam es leise aus der Brünetten, „Sie war immer so perfekt und hat mich damit richtig schlecht aussehen lassen. Außerdem hatte sie mir damals meinen Schwarm weggenommen, von dem sie genau wusste, dass ich in ihn verliebt war.“ „Na ja“, zögerte die Blauhaarige, „Aber du weißt schon, dass du ziemlich häufig für einen anderen Kerl schwärmst, oder? Erzähl mir lieber wie genau das alles passiert ist. Du weißt es doch ganz genau. Ich kenne dich.“ Beleidigt blies sie die Wangen auf: „Du bist fies Rinacchi. Mir war das echt ernst gewesen und ich war wirklich richtig doll verliebt.“ „Sagst du das nicht jedes Mal?“, blickte Rin kritisch drein, „Meinst du nicht, dass du dich daran nur so festgekrallt hast, weil es dich genervt hat, dass deine Schwester mit ihm ausging?“ „Kann sein, aber das ist eh Geschichte, denn mittlerweile ist mein Herz neu entflammt!“, strahlte die Oberschülerin übers ganze Gesicht und war vollkommen entschlossen, „Nun werde ich mich darauf konzentrieren Akira-kun für mich zu gewinnen!“

Hatte sie soeben wirklich „Akira“ gesagt? DER Akira? Der gleiche, der Rin ein Liebesgeständnis gemacht hat?

Panik brach in der Blauhaarigen aus, denn sie wusste nicht was sie tun sollte. Sie konnte Amika doch jetzt nichts mehr von dem Liebesgeständnis erzählen. Eigentlich wollte sie sie um Rat fragen, weil die ganze Situation so unglaublich verfahren war und Rin dem Kerl nicht so recht glauben konnte. Aber das konnte sie nun unmöglich ansprechen. Stattdessen schwieg sie einfach und hörte nur zu was ihre beste Freundin zu sagen hatte.

„Ach ja, ich bin dir ja noch eine Erklärung schuldig was den Brand anbelangt“, senkte die Brünette die Stimme und begann zu flüstern, „Ich hab das Feuer gelegt. Aber es war nicht meine Absicht das ganze Haus niederzubrennen. Eigentlich habe ich auch nicht geplant Kaori oder überhaupt wen umzubringen.“

Sie machte eine kurze Pause, in welcher sie nochmal tief durchatmete. Man merkte, dass die Schülerin es wahnsinnig bereute, dass ihre Schwester gestorben war, denn die Worte gingen ihr nur sehr schwer von den Lippen.

„Ich war alleine zu Hause, denn Kaori war mit unseren Eltern irgendwo. Mich haben sie mal wieder ausgeschlossen und da wurde ich wütend. Deswegen wollte ich die Pokale im Wohnzimmer niederbrennen. In dem Moment, in dem ich die Flammen entzündete, breitete es sich allerdings wie ein Lauffeuer aus und schnell stand der ganze Raum in Flammen. Ich geriet in Panik und bekam es nicht mehr gelöscht. Meine Kraft gehorchte mir nicht mehr und weglaufen konnte ich auch nicht mehr, weil ich wie gelähmt war. Ich erinnere mich noch, wie Kaori plötzlich ins Zimmer gestürzt kam und an mir zerrte und schrie, dass ich raus aus dem Haus muss. Meine Familie war gerade wiedergekommen. Wären sie es nicht, wäre ich diejenige gewesen, die gestorben wäre, weil ich wie versteinert war. Es dauerte auch ziemlich lange, bis ich wieder richtig zu Sinnen kam. Da passierte es: Einer der in Flammen stehenden Schränke fiel um. Eigentlich wäre er direkt auf mich gefallen, hätte mich meine Schwester nicht zur Seite gestoßen. Stattdessen fiel das schwere Teil auf sie und klemmte sie darunter ein. Ich kann mich noch ziemlich gut daran erinnern wie sie eingequetscht da lag. Sie hatte Tränen in den Augen und schrie mich an, dass ich endlich verschwinden soll. Das wollte ich natürlich nicht und ich versuchte sie rauszuziehen. Allerdings gelang es mir nicht. Stattdessen fielen weitere Möbelstücke in sich zusammen und die ganze Schrankfront kippte um. Sie verschüttete Kaori vollends und ich hatte keine Chance mehr an sie heranzukommen. Danach fiel ich in Ohnmacht. Mir wurde gesagt, dass meine Eltern mich aus dem Feuer zogen, bevor die Feuerwehr endlich eingreifen konnte. Kaori konnte niemand retten. Sie wussten nicht wo sie war. Und selbst wenn sie sie gefunden und geborgen hätten, wäre sie voller Brandwunden gewesen. Sie hat sich für meine Dummheit geopfert…“, begann Amika fürchterlich zu weinen. „So ein Quatsch“, umarmte Rin die Weinende, „Ich glaube nicht, dass Kaori wollen würde, dass du dir Vorwürfe machst. Sie ist deine große Schwester gewesen und wollte dich nur beschützen.“ „Das ist ja das Schlimme“, schluchzte die Brünette laut, „Ich war so gemein zu ihr und hab sie immer nur gehasst. Sie wusste ganz genau, dass ich sie nicht leiden kann. Trotzdem hat sie immer Gelächelt und war nett zu mir. Selbst ihre letzten Worte hatten keinen Funken der Verachtung. Sie sagte, dass sie mich liebhätte. Und ich habe sie dafür umgebracht.“ „Du hast sie nicht umgebracht! Das war definitiv ein Unfall“, schoss es aus der Blauhaarigen. „Hätte ich das Feuer nicht entfacht, wäre all das nie passiert. Natürlich bin ich dran schuld. Meine Eltern denken das auch. Das merkt man. Sie denken sicherlich, dass lieber ich statt meiner Schwester hätte sterben sollen. Jetzt haben sie nur noch ihre missratene Tochter.“

Daraufhin wurde Rin wütend und scheuerte der Jammernden eine. Wie konnte Amika nur so etwas denken? Zwar verstand die Blauhaarige selbst nicht viel von Elternliebe, eigentlich sogar gar nichts, aber sie konnte sich trotzdem nicht vorstellen, dass ihre Eltern sie so sehr hassen würden.

Natürlich trauerten sie um ihre verstorbene Tochter. Dabei wäre völlig egal gewesen welche der beiden Schwestern es getroffen hätte. Abgesehen davon war die ganze Situation auch so schon schwer genug, denn zusätzlich hatten sie ihr komplettes Hab und Gut verloren als das Haus restlos niederbrannte. Außerdem war es ja nicht so, als würde ihre Mutter sie links liegen lassen und sich nicht darum scheren was aus Amika werden würde. Ihre Strenge zeugte sicherlich von Sorge.

„Wie kommst du nur auf so etwas?“, drang die besorgte Stimme der Dunkelrothaarigen an die Ohren der Schülerinnen, welche unweigerlich zusammenzuckten.

Die Eltern hatten soeben wieder den Raum betreten und scheinbar mitbekommen was die Brünette quälte. Sofort kamen beide zu ihrer Tochter herübergeeilt und umarmten diese voller Sorge. Ihre Mutter hatte sogar Tränen in den Augen.

„Ich bin so unglaublich froh, dass es dir gutgeht. Du glaubst ja gar nicht wie viele Gedanken ich mir gemacht habe, als du nicht mehr aufgewacht bist“, bebte die Stimme der älteren Frau, „Du bist doch trotzdem unsere Tochter. Und auch wenn ich mal streng bin, meine ich das nicht böse. Ich dachte immer, dass es dich anspornen könnte, wenn ich einen Vergleich ziehe. Mir ist vollkommen egal wer schlauer ist. Dafür kannst du andere Dinge besser als deine Schwester.“

Erneut brach die Oberschülerin in heftiges Geheule aus. Es war, als hätte man eine schwere Last von ihren Schultern genommen und sie fühlte sich nun frei und voller Erleichterung. Einerseits glücklich, andererseits auch schuldig, weil sie ihre Mutter nie verstehen konnte. Sie hatte ihr strenges Auftreten immer als eine abwertende Behandlung betrachtet und einiges missverstanden.

Zwar war ihre Mutter recht streng und launisch, hatte aber auch ihre guten Seiten. Egal wie oft sie sich stritten und die ältere Frau ihrer Tochter Dinge verbat, sie erlaubte sie kurz darauf dann doch.

Als sie ihr die Klassenreise verbat, lies sie sie am Ende doch mitfahren, als sie sah, dass sich die Brünette mehr in der Schule anstrengte. Oder als sie an Weihnachten Hausarrest hatte, lies sie sie schlussendlich doch gehen, erlegte ihr aber eine andere mildere Strafe auf.

Ein Unmensch war die Dunkelrothaarige definitiv nicht. Sie hatte nur eine strenge Art und eine Vorliebe für Recht und Ordnung.

Da die Shiori Familie mit sich selbst beschäftigt war, beließ es Rin dabei und machte sich wieder auf den Weg. Immerhin musste sie trotz allem noch in die Schule.

Auf halbem Weg stellte sie dann auch noch panisch fest, dass der Unterricht bereits begonnen hatte: „Verdammt! Ich komme zu spät!“ „Selbst schuld“, kam Skye aus ihrem Schulrucksack gekrochen und flog neben der Rennenden her, „Aber jetzt wissen wir wenigstens, dass es ihr gutgeht und dass ihre Mutter sie nicht hasst.“ „Ich konnte mir das auch irgendwie nicht vorstellen. So schlimm hatte ich ihre Mutter nie in Erinnerung gehabt. Obwohl sie schon immer sehr streng war“, überlegte die Blauhaarige.

 

Nach einem chaotischen Tag kam Rin am Abend endlich wieder in ihrem Wohnheimzimmer an. In der Schule bekam sie mächtig Ärger, weil sie zu spät war. Dann musste sie nachsitzen und kam zu spät zum Lacrosse. Dadurch musste sie zur Strafe hinterher aufräumen, wodurch sie zu spät bei Kuro aufschlug. Der war so genervt davon, dass er das Mädchen doppelt so hart arbeiten lies. Nun war die Blauhaarige wirklich am Ende und wollte einfach nur noch ihre Ruhe.

Als sie ihre sieben Sachen zusammensuchte, um ins Bad zu gehen und zu Duschen, entdeckte sie Skye, wie er in der Sitzecke fläzte. Wie immer hing er an seiner Konsole und spielte irgendwas. Einerseits konnte das Mädchen verstehen, dass das ein oder andere Spiel fesselnd war. Andererseits erschien es ihr doch ein wenig zu extrem.

„Findest du nicht, du solltest mal etwas anderes tun? Immer hängst du nur vor dem Ding. Es täte dir sicherlich gut in die Schule zu gehen“, kritisierte sie ihn. Dieser starrte jedoch weiterhin auf sein Gerät und brachte ziemlich trocken hervor: „Findest du nicht, du solltest mal lernen dein Element zu kontrollieren?“ „Was soll das denn heißen? Als wir Ami gerettet haben, da habe ich es doch wunderbar einsetzen können!“, protestierte die Oberschülerin. „Das war Kyusagi und nicht du“, würdigte er Rin noch immer keines Blickes. Doch diese fand erneut Widerworte: „Ich bin diese Persona und die Persona ist ich. Das hat das Ding selbst gesagt.“

Siegreich verschränkte sie die Arme und bäumte sich vor dem Kleinen auf. Dieser sah endlich mal von seinem Spiel auf und blickte sie mit ernster Miene an: „Na dann zeig doch mal was du draufhast. Wenn du dein Element beherrschst, dann gehe ich auch zur Schule.“

Natürlich hatte er sie damit überrumpelt, denn nichts auf der Welt würde sie dazu bringen sich freiwillig ihrer Fähigkeit zu stellen. Abgesehen davon wusste sie nicht, wie sie Skye auf eine Schule schicken könnte. So ganz ohne Erziehungsberechtigten oder anderweitige Papiere.

„Hat das überhaupt einen sinnvollen Grund warum du so eine Panik vor Wasser hast?“, hakte der Schwarz-Blauhaarige nach.

Eine Antwort blieb Rin ihm allerdings schuldig, denn sie verzog sich auf die Frage hin wortlos ins Badezimmer.

Als sie nach einer Weile wieder frisch geduscht herauskam, begann sie damit in ihren Sachen zu kramen. Jedoch fand sie nicht, was sie suchte und fluchte: „Verdammt! Wo ist nur mein Handy?!“ „Wann hattest du es denn zuletzt?“, kam eine Gegenfrage. „Keine Ahnung“, war das Mädchen planlos, „Vermutlich gestern?“ „Vielleicht hast du es ja im Dungeon verloren. Wenn du telefonieren willst, kannst du das auch über die Horos über eine Kurzstreckenverbindung“, starrte Skye geistesabwesend auf seine Konsole. „Das löst trotzdem nicht das Problem“, zog sich das Mädchen etwas über.

Noch ehe der Schwarz-Blauhaarige es realisieren konnte, war Rin schon aus der Tür raus und stand im Flur. Dort traf sie auf Ruri, welche soeben ihre Schlüsselkarte durch den Schlitz des Schlosses vom Nachbarzimmer zog.

„Du hast das Zimmer neben mir?“, fiel die Blauhaarige mal wieder plump mit der Tür ins Haus. „Oh, hallo Aikawa-chan“, lächelte die Eisblauhaarige sie an, „Ich wusste auch nicht, dass wir nebeneinander wohnen. So ein Zufall.“ „Nenn mich doch einfach nur beim Vornamen. Das ist sonst so kompliziert. Wir sind doch Freunde“, wechselte die Stipendiatin prompt das Thema. Überrascht zog ihr Gegenüber die Brauen nach oben: „O-okay? Gerne. Dann nenn du mich aber auch ganz einfach beim Vornamen.“ „Super“, streckte Rin ihren Daumen nach oben und grinste frech, „Jetzt muss ich aber los. Mach’s gut Ruri.“ „Du auch.“

 

Kaum war die Blauhaarige aus dem Wohnheim herausgerannt, machte es sich ein ihr bekannter Vogel auf ihrer Schulter bequem: „Wo willst du hin?“ „Ich geh mein Handy suchen“, kam es knapp zurück. „Und wo?“, hakte der schwarz-blaue Vogel nach. „Na drüben. Auf der anderen Seite“, schien es für Rin selbstverständlich. „Das ist zu gefährlich“, versuchte der Kleine sie zu stoppen, „Du könntest sonst wo landen.“

Gekonnt ignorierte sie Skye, während sie durch den alten Schuppen ein Portal öffnete und hindurchsprang. Blinzelnd blickte sie daraufhin in die Morgensonne und sah sich um. Sie hatte Glück, denn es waren noch fast gar keine Schüler auf dem Schulgelände.

„Kehr wieder um. Du wirst es hier sowieso nicht finden“, jammerte der Vogel noch immer. „Nein. Außerdem kann man das nicht sagen, bevor man nicht gesucht hat. Ich verspreche auch, dass ich nicht in den Dungeon gehe“, versuchte die den Jüngeren zu besänftigen, während sie das Portal hinter sich wieder verschloss.

Daraufhin machte sie sich suchend auf den Weg und drehte jeden Stein bis hin zum alten Wohnsitz ihrer besten Freundin um. Leider wurde sie nicht fündig. Sollte sie vielleicht doch in den Dungeon gehen? Aber sie hatte Skye ja versprochen es nicht zu tun. Sie steckte wirklich in einer verzwickten Situation, denn sie konnte sich leider nicht mal eben schnell ein neues Telefon leisten, brauchte aber eins. Wie konnte es nur verlorengehen?

Während sie mit sich selbst haderte, ging plötzlich die Haustür des ehemaligen Wohnhauses ihrer besten Freundin auf und ihr Begleiter zischte schnell: „Los, versteck dich!“

Wie befohlen tat sie was er sagte und versteckte sich hinter der Hecke des Nachbarhauses. Erst nachdem sie gehandelt hatte, fragte sie sich, wieso sie auf ihn hörte und vor was sie sich verstecken sollte. Als sie dann jedoch Kaori und Amika im Miniformat aus der geöffneten Haustür kommen sah, klappte ihr die Kinnlade herunter. Die beiden schienen im Grundschulalter zu sein und verabschiedeten sich soeben von ihrer Mutter. Gebannt starrte Rin die kleinen Mädchen an, welche sich gemeinsam auf den Weg gemacht hatten. So sehr sie auch dran zweifelte, es handelte sich dabei tatsächlich um die Shiori Schwestern in jungen Jahren.

„Was geht hier ab?!“, fiel Rin aus allen Wolken. „Sei leise“, flüsterte der Vogel auf ihrer Schulter, „Ich habe dich doch gewarnt, dass es gefährlich ist.“ „Wo soll das gefährlich sein? Das sind doch keine Monster“, zischte die Blauhaarige. „Nein, aber das ergibt nur unnötige Zeitparadoxen“, versuchte der Kleine das Mädchen aufzuklären. Diese kapierte noch immer nichts: „Was soll das heißen? Dass wir eine Zeitreise gemacht haben?“ „Der Portalschlüssel hat nicht umsonst den Beinamen ‚Timeless Key‘. Was glaubst du warum das Haus nicht zerfallen war, als wir den Dungeon betreten haben? Wir sind dazu in die Vergangenheit gereist. Genau wie jetzt“, war der Jüngste sichtlich genervt. „Zeitreisen? Sowas gibt’s doch gar nicht! Und von dem Namen habe ich erstrecht noch nie etwas gehört“, blähte die Oberschülerin ihre Wangen auf. „Sehe es endlich ein und geh wieder zurück!“, lies er noch immer nicht locker, „Du wirst dein Handy hier sowieso nicht finden.“ „Das kann nicht sein“, wollte sie dem Vogel noch immer nicht glauben.

Nachdem die beiden Schwestern außer Sichtweite waren, machte sich auch die Blauhaarige eilig wieder auf den Weg. Sie musste irgendwie prüfen welches Datum im Moment war. Tatsächlich war das schwerer als gedacht, denn Skye verbot ihr mit Fremden zu sprechen und eine Anzeige gab es auch nirgends. Maximal eine Uhrzeit konnte das Mädchen herausfinden, aber dass es früh am Morgen war wusste sie auch so. Nach Stunden des Herumirrens kam sie schlussendlich in der Innenstadt an, wo ihr Blick an einem kleinen Zeitungsstand hängenblieb. Trotz der Widerworte ihres Begleiters, lies sie sich eine der Tageszeitungen aushändigen und konnte nicht fassen welches Datum dort stand.

„Sagen Sie“, sprach Rin den Verkäufer erneut an, „Das ist die aktuelle Ausgabe, oder?“ „Ja klar“, nickte dieser etwas irritiert.

Im nächsten Moment schleuderte die Blauhaarige dem armen Mann plötzlich das bedruckte Papier entgegen und rannte davon: „Das kann nicht sein!“ „Glaubst du mir jetzt?“, kam es genervt von ihrem Begleiter. „Da stand 2005! Das war vor zehn Jahren?!“

 

Als Rin endlich wieder das Portal in ihre Zeit passierte, fiel sie ausgelaugt und schweißgebadet auf ihren Hintern während sie schwer schnaufte: „Und in welcher Zeit habe ich nun mein Handy verloren?“ „Ist dir klar, dass das eine Katastrophe ist?! Das gibt das schlimmste Zeitparadoxon überhaupt! Nun existieren irgendwann zwei von deinen Handys!“, verfiel der Kleine in Panik. „Ja, das ist wirklich eine Katastrophe!“, war Rin beinahe noch panischer als ihr Begleiter, „Ich hab doch gar kein Geld für ein neues Handy!“ „Das ist dein geringstes Problem!“, wurde sie wütend von Skye angeschnauzt. Die Blauhaarige lies sich das aber nicht gefallen: „Dann hättest du mich eben mal aufklären müssen! Kann ich doch nicht riechen, dass wir durch die Zeit gereist sind!“


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