Kapitel 8 - Schwere Bürde


Samstag, 11. April 2015

 

Freudig packte Rin soeben das letzte Kleidungsstück in ihren Koffer, ehe sie ihn versuchte zu verschließen. Da sie ihn ein wenig überladen hatte, gestaltete es sich allerdings als eher schwierig, weshalb sie sich kurzerhand einfach auf ihn setzte. Danach ließ er sich mit Leichtigkeit verschießen.

Im Anschluss stand sie vor dem nächsten Problem, der Treppe. Der Koffer war leider so schwer, dass sie ihn nicht anheben konnte und Saito war auch nicht da, um ihr zu helfen. Ryuichi würde sie sicher nicht um Hilfe beten, immerhin ignorierte sie diesen momentan gekonnt.

„Ich glaube ich habe eine Idee“, legte sie ihren Koffer flach auf den Boden.

Schwermütig schob sie das Teil zur ersten Treppenstufe. Kaum ragte der Koffer ein Stück über ihr, bahnte er sich von selbst seinen Weg nach unten. Mit Vollgas rutschte er binnen Sekunden geräuschvoll herunter und knallte mit voller Wucht und einem lauten Knall gegen die Wand, welche sich direkt gegenüber befand. Durch den Aufprall staubte es leicht und von oben sah das Mädchen wie die Wand ein wenig bröckelte. Schnell flitzte sie dem Gepäckstück hinterher und stellte es wieder auf die Rollen, als im gleichen Moment ihr Vater aus der Wohnzimmerbibliothek kam und leicht irritiert seine Tochter musterte.

„Was ist denn passiert? Bist du mit dem Koffer die Treppe runtergefallen? Hast du dich verletzt?“, stellte er gefühlte tausend Fragen.

Gekonnt ignorierte sie den Mann und begutachtete nun die unübersehbare Delle in der Wand.

„Saito bringt mich um, wenn er das sieht“, dachte sie sich nur und verschwand in der Küche, aus welcher sie kurz darauf mit einem Kehrblech wiederkam.

Erneut suchte der Schwarzhaarige das Gespräch mit seiner Tochter: „Rin, was hast du denn mit dem Koffer vor? Verreist du? Am Schuljahresanfang?“

Auch dieses Mal tat sie, als hörte sie den älteren Mann nicht, fegte die feinen Brocken vom Boden auf und entsorgte alles in der Küche. Zurück im Hausflur zog sie sich Jacke und Schuhe über und wollte soeben mit dem störrischen Koffer aus der Haustür, als Ryuichi sich vor sie stellte und ihr den Weg versperrte: „Ich lasse dich hier nicht raus, bis du mir eine Antwort gibst, junges Fräulein.“

„Was willst du eigentlich von mir, Ryuichi? Es kann dir doch egal sein wo ich hingehe“, motzte sie ihn an. „Kann es nicht“, gab er besorgt kontra, „Du bist meine Tochter und es ist mein Recht zu erfahren wo du hingehst. Du bist minderjährig.“ „Dann sag doch mal, wann du mir jemals ein Vater warst. Du bist immer nur da unten in deinem blöden Keller und scherst dich einen Dreck um Saito oder mich!“, wurde die Blauhaarige nun laut, „Und wenn du es unbedingt wissen willst: Ich ziehe aus! Und du hast überhaupt gar kein Recht mich daran zu hindern!“

Wutentbrannt stampfte sie wie ein kleines Kind einmal mit dem Fuß auf. Dem älteren Mann sah man deutlich an, dass er nicht wusste was er seiner Tochter entgegensetzen sollte, da sie leider im Recht war. Er hatte kaum mitbekommen wie seine eigenen Kinder herangewachsen waren und wusste im Grunde nichts über sie. Eigentlich hätte er für sie da sein müssen, gerade weil sie nur noch ihn hatten.

„Jetzt lass mich endlich durch!“, hatte das Mädchen schon Tränen vor Wut in den Augen.

Ohne, dass die beiden sich nochmal ansahen, bewegte sich der Schwarzhaarige von der Tür weg und verschwand wieder im Wohnzimmer. Endlich war für Rin der Weg frei und schwermütig verschwand sie mit dem störrischen Koffer und knallender Tür aus dem Haus.

Zurück blieb ein bedrückter Ryuichi, welcher mit hängendem Kopf auf dem kleinen Sofa im Wohnzimmer saß und leise murmelte: „Ich habe versagt, Rikki. Tut mir leid.“

 

Endlich war Rin am Bahnhof angekommen, da fuhr auch schon ihre Bahn ein. Es fiel ihr schwer mit dem Koffer zwischen den Menschenmassen den Weg in das Gefährt zu finden. Abgesehen davon war sie sich noch nicht so sicher wie sie das schwere Ding über die Schwelle bekommen sollte.

Gerade, als ihr Gepäckstück drohte festzustecken, griff eine Hand danach und hievte ihn in den Wagon.

„D-danke“, war die Blauhaarige irritiert über die plötzliche Hilfe.

„Kein Problem“, wurde sie von Akira angegrinst. Erstaunt starrte sie ihn an: „Du? Hier?“ „Ja, ich komme grade von der Arbeit. Ich durfte früher gehen, weil heute wenig zu tun war“, erklärte er knapp, „Und was hast du mit dem dicken Koffer vor?“ „Na, ich bin auf dem Weg ins Wohnheim. Meine Sachen müssen doch irgendwie dahinkommen“, antwortete sie ihm. „Macht Sinn. Aber hast du keine Hilfe? Der Koffer ist wahnsinnig schwer“, staunte der Rothaarige. „Habe ich nicht“, verneinte sie die Frage, „Aber das ist halb so wild, ich bekomme das alleine hin.“ Kurz überlegte der Schüler: „Dann helfe ich dir mit deinem Gepäck bis ins Wohnheim. Das ist ja noch ein Stückchen.“ „Quatsch, das brauchst du nicht. Den doofen Koffer schaffe ich schon alleine“, winkte das Mädchen ab.

Sie wollte ihm keine Umstände machen nur wegen dieser Lappalie. Eigentlich war sie ja selbst dran schuld, dass sie den Koffer so überladen hatte.

„Dir muss man die Hilfe echt aufzwingen, oder?“, lächelte Akira lieb, „Ich komme mit, keine Widerrede.“ Kurz stockte das Mädchen, weil sie nicht recht wusste was sie antworten sollte: „Ähm… D-Danke. Auch wenn es trotzdem nicht nötig gewesen wäre.“

 

„Oh mein Gott“, stockte Rin der Atem, als sie soeben mit Akira das Wohnheim betrat.

Ihr Begleiter hingegen schien wenig beeindruckt und musterte eher das Mädchen, welches mit großen Augen über die geräumige Lobby des Wohnheimes staunte.

Die Decke war enorm hoch für ihren Geschmack und mitten im Raum hing ein prunkvoller Kronleuchter. Die weißen Wände waren dezent mit goldenen Mustern bemalt und hier und da hingen Bilderrahmen und schicke Lampen, welche ziemlich teuer aussahen. Rechts und links an der Wand entlang standen vereinzelt moderne Beistelltischchen mit dazu passenden bequem wirkenden Sesseln und sogar die ein oder andere Couch, auf welcher auch zwei Personen Platz hatten. Vereinzelt saßen sogar kleine Schülergrüppchen dort und quatschten. In der Mitte der Empfangshalle war von der Eingangstür bis hin zu der breiten Treppe ein blauer breiter Teppich ausgelegt. An der rechten Seite des Eingangsbereiches befand sich eine große Rezeption, an welcher eine ältere Dame saß und irgendwas in einen Computer eintippte. Zwar langsam und halb blind, aber sie strengte sich definitiv an. Sie trug einen schwarzen Blazer und darunter eine weiße Bluse. Ihre Haare waren in einer Spange hochgesteckt und das Braun färbte sich schon langsam in Grau.

„Hallo, Miya-oba-chan. Ich bringe dir eine neue Schülerin“, begrüßte der Rothaarige die Oma. Diese schaute schreckhaft von ihrem Tun auf, zog ihre Brille etwas nach unten und erblickte den jungen Mann: „Bist du es, Akira-kun? Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen.“ „Ja, ich bin es“, lächelte er die ältere Dame an. „Wie geht es dir denn mein Junge“, erkundigte sie sich. „Alles im Lot. Sieh mal, ich bringe dir jemand Neues“, deutete er auf die Blauhaarige, welche stumm das Geschehen betrachtete.

„Oh wie schön. Wie heißt du denn mein Kind?“, lächelte die Oma sie freundlich an. Nun trat das Mädchen näher an den Tresen heran: „Ich bin Rin Aikawa.“

Auf die Aussage tippte die Dame mit zwei Fingern suchend auf ihrer Tastatur herum. Kurz darauf stoppte sie, ging mit dem Kopf näher an den Bildschirm heran und rückte sich die Brille zurecht. Mit leicht zugekniffenen Augen schien sie etwas zu lesen, dann wendete sie ihren Blick wieder zu ihrer neuen Schülerin: „Ich habe dich gefunden, Liebes. Dann bräuchte ich nur noch einige Informationen und deine Einverständniserklärung unter der Hausordnung.“

Schwermütig beugte sich Miya etwas nach unten, um in einer Schublade unter dem Schreibtisch diverse Papiere herauszukramen. Die beiden wartenden Schüler beobachteten sie dabei neugierig.

„Also das hier ist erstmal die Hausordnung. Lies sie dir aufmerksam durch und gib mir dann bitte das letzte Blatt davon zurück, ja?“, legte sie die Papiere auf dem Tresen aus, „Hier haben wir einen Bogen mit allgemeinen Angaben, die wir brauchen. Und das hier lässt du bitte von deinen Eltern ausfüllen und unterschreiben.“

Leicht überfordert von dem ganzen Papierkram begutachtete das Mädchen die Schriftstücke und überlegte kurz: „Muss das von den Eltern ausgefüllt werden, oder kann das auch ein volljähriges anderes Familienmitglied machen?“ Die Braungrauhaarige legte den Kopf schief: „Na ja, dein Erziehungsberechtigter.“

Verstehend nickte sie, während sie alle Papiere an sich brachte.

„So, mal sehen“, tippte die Rezeptionistin wieder auf der Tastatur herum, „Oh, dir wurde ja bereits eine Zimmernummer zugewiesen.“

Daraufhin begann sie erneut zu kramen und zog eine Chipkarte hervor, welche sie in ein Gerät steckte. Erneut betätigte sie eine handvoll Tasten auf dem Computer, ehe sie die Karte wieder herauszog und zusammen mit noch mehr Papier auf den Tresen legte.

„Das ist deine Chipkarte für das Zimmer. Es ist die Nummer 407 im vierten Stock. Schreib zu deiner eigenen Sicherheit die Nummer auf keinen Fall auf die Karte. Wenn du sie verlierst, wissen die Leute wo du wohnst“, bläute sie der Schülerin ein, „Und das hier bitte ich dich auch durchzulesen. Das sind Informationen über den Ablauf im Wohnheim. Dinge wie die Öffnungszeiten des Speisesaals, die Wäschereinutzzeiten, wann der Wellnessbereich vom wem genutzt werden darf und so weiter.“

Noch mehr Informationen, die sich soeben in Rins Kopf anstauten und ihn zum Qualmen brachten. Die einzige Frage, die sie sich im Moment stellte war, wieso zum Teufel es hier einen Wellnessbereich gab. Aber je genauer sie darüber nachdachte, umso mehr erinnerte sie sich daran, was das hier für ein nobler Ort war.

„Hörst du mir zu, Liebes?“, hakte Miya nach und auch Akira gab der gedankenversunkenen Blauhaarigen einen leichten Schubs.

„Hä? Was?“, landete sie zurück in der Realität, „Tschuldigung.“ Ein liebliches Lächeln huschte der älteren Dame über die Lippen: „Denk bitte einfach nur daran mir die ganzen Unterlagen bis spätestens Montag ausgefüllt abzugeben, okay?“

Mit einem Nicken verabschiedeten sie sich von der netten Dame und schritten den blauen Teppich entlang in Richtung Treppe.

„Muss ich jetzt jeden Tag bis in den vierten Stock laufen?“, jammerte Rin. Akira lachte sie hingegen aus: „Da sind doch zwei Aufzüge. Außerdem dachte ich, dass du Sport magst.“

Er warf ihr einen neckenden Blick zu, woraufhin er keine weitere Antwort erhielt. Nur eine beleidigte Blauhaarige, welche die Wangen aufblies, konnte er erblicken.

Auf dem Weg durch den Eingangsbereich bis hin zu den Aufzügen fühlte Rin die neugierigen Blicke der anderen auf sich. Einige hörte sie sogar tuscheln. Sie fragten sich, wer ihre neue Mitschülerin wohl sei. Das Mädchen konnte auch Wortfetzen verstehen, die nicht so nett gemeint schienen. Vermutlich sah die Blauhaarige nicht versnobt genug aus für diesen Laden. Aber so unangenehm es auch war, sie machte sich trotzdem nichts daraus. Ändern konnte sie ihre Herkunft nun mal nicht.

Kaum waren sie im Aufzug, sprach Akira sie an: „Nimm dir das bloß nicht zu Herzen. Die Leute hier wissen einfach nicht wie man mit Normalos wie uns umgehen soll. Sie fühlen sich uncool, und weniger erhaben als andere, wenn sie sich auf die Seite von Leuten wie uns schlagen.“ „Ach was. Als ob ich etwas auf jemanden geben würde, der mich beleidigt, ohne mich zu kennen“, winkte sie grinsend ab.

Gleichzeitig fragte sie sich, wieso der Rothaarige das Thema ansprach. Sah sie etwa danach aus, als ob sie sich angegriffen und verletzt fühlte?

Als der Aufzug im vierten Stock hielt, stiegen die beiden zügig aus und gingen den breiten Gang entlang auf der Suche nach Rins Zimmernummer. Dabei lasen sie die Schilder neben den Türen, welche sich rechts und links in etwas größeren Abständen erstreckten. Am Ende des Flurs blieben sie schließlich stehen, denn besagter Raum befand sich direkt an der Stirnseite.

Irritiert fuchtele das Mädchen daraufhin mit der Schlüsselkarte herum, weil sie nicht genau wusste, wie sie damit eine Tür aufbekommen sollte. Der Rothaarige musste sich das Lachen regelrecht verkneifen, bis er schließlich die Karte an sich nahm und dem Mädchen erklärte, dass sie sie einfach nur durch den seitlichen Schlitz der Schlossvorrichtung ziehen musste.

Kaum hatte der junge Mann dies getan, fiel die Tür mit einem leisen Piepton einen Spaltweit auf. Mit dem Koffer im Schlepptau stiefelte er schließlich als erstes in den Raum, stellte ihn ab und sah sich um. Rin tat es ihm gleich und trat ebenfalls ein, bevor sie die Tür hinter sich zuzog.

„Wie riesig das ist“, sah sie sich mit großen Augen um. Auch Akira war dieses Mal ein wenig erstaunt: „Ja, es ist wirklich relativ groß. Hier gibt es aber auch weitaus kleinere Räume.“

„Das hat mich vorhin schon verwundert“, wendete sich die Blauhaarige dem jungen Mann zu: „Warum kennst du dich hier so gut aus? Selbst die nette Oma am Empfang wusste wer du bist.“ Schief grinste der Schüler sie daraufhin an: „Ach, das ist eine lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie dir ein Andermal.“

Etwas enttäuscht lies Rin davon ab und Akira versuchte ihr daraufhin zu erklären, dass sie die Chipkarte in die Vorrichtung neben der Tür stecken musste, um den kompletten Strom nutzen zu können. Nur mit halbem Ohr hörte sie Gesprochenem zu, weil sie damit beschäftigt war jedes Detail in ihrem neuen zu Hause zu bestaunen.

Zu ihrer Linken stand ein enorm großes bezogenes Bett, in welches bestimmt drei Leute passen würden. Rechts und links davon befanden sich sogar Nachttischchen und an der Wandseite links vom Bett erstreckte sich ein ziemlich großer Schrank. Vermutlich der Kleiderschrank. An der Fensterfront gegenüber der Tür befand sich ein langer Schreibtisch mit Schubladen und Stuhl. Direkt daneben war unter den Fenstern ein langes offenes Regal montiert. Auf der rechten Seite der Eingangstür war eine Sitzecke eingerichtet. Dort stand eine nicht unbedingt kleine Couch zusammen mit einem größeren Beistelltischchen. An der Wand hing sogar ein Fachbildfernseher und selbst einen hüfthohen Kühlschrank konnte die Blauhaarige erkennen. Etwas weiter Richtung Fensterfront entdeckte Rin eine weitere Tür und ließ es sich nicht nehmen diese schnurstracks zu öffnen.

Völlig perplex stand sie daraufhin in einem Badezimmer mit großer Badewanne, zwei Waschbecken und einer Toilette.

Mittlerweile überraschte sie gar nichts mehr, deswegen konnte sie das doppelte Waschbecken auch ziemlich einfach ignorieren. Aber wieso hatte sie ihr eigenes Bad? Das ist doch nicht normal in einem Schulwohnheim so einen prunkvollen Raum zu bekommen, oder?

„Das ist ja wie in einem super teuren Hotelzimmer“, staunte Rin nicht schlecht, nachdem sie alles genauer inspiziert hatte. Der Blick ihres Begleiters schweifte ebenfalls herum: „Die Reichen können es sich scheinbar leisten.“

Kurze Stille erfüllte den Raum, in welcher die beiden Schüler immer noch damit beschäftigt waren zu realisieren was sie soeben gesehen hatten.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis der Rothaarige das Schweigen wieder brach: „Kann ich dich mal was fragen, Aikawa-chan?“ „Klar, schieß los“, schenkte ihm das Mädchen ihre Aufmerksamkeit. „Vorhin, als Miya-oba-chan meinte, dass deine Eltern unterschreiben müssen, da hast du gefragt, ob es auch jemand anderes unterschreiben kann“, setzte Akira an, „Sind deine Eltern etwa dagegen, dass du ins Wohnheim ziehst? Oder bist du womöglich abgehauen?“

Schweißperlen bildeten sich auf Rins Stirn, denn sie hatte nicht mit einer solch forschen Frage gerechnet. Eigentlich wollte sie nichts über ihre Familie erzählen, da sie sich dafür schämte. Vor allem für ihren Vater.

„Na ja“, überlegte sie angestrengt, was sie ihm auftischen könnte: „Meine Mutter ist nicht mehr da und mit meinem Vater habe ich mich gestritten. Ich will ihn nicht fragen.“ „Oh entschuldige, das war unsensibel von mir. Ich wusste nicht, dass deine Eltern sich geschieden haben und getrennt leben. Aber vielleicht solltest du dich mit deinem Vater wieder versuchen zu vertragen. Immerhin ist er ja dein Vater“, bedauerte der Oberschüler die Situation des Mädchens. „Du brauchst dich nicht entschuldigen. Woher hättest du das denn wissen sollen?“, setzte die Blauhaarige an, „Aber nur, um es richtigzustellen: Meine Eltern waren nie verheiratet. Den Nachnamen haben mein Bruder und ich von unserer Mutter angenommen, mein Vater heißt Aoyama.“ „Ach so. Aber so oder so ist es sicherlich schrecklich für dich ohne deine Mutter aufzuwachsen. Kannst du sie denn wenigstens ab und an mal besuchen?“, traf der bedauernde Blick des Rothaarigen die Schülerin. Rin überlegte was sie ihm antworten sollte: „Das ist eine gute Frage, die ich leider mit einem ‚Nein‘ beantworten muss. Weißt du, meine Mutter ist gestorben, als ich noch recht klein war.“ „Oh Gott, ich bin heute ja der totale Fettnäpfchen-King“, weiteten sich die Augen des jungen Mannes, „Das tut mir wirklich leid, Entschuldigung. Ich wollte dich nicht traurig stimmen.“

Kurz lachte Angesprochene auf: „Keine Sorge, meine Mutter ist bereits schon so lange tot, dass ich durch sowas nicht mehr traurig werde.“ „Dennoch war es nicht nett von mir dich über dieses private Thema so auszufragen“, bedauerte Akira seine vorangegangenen Worte, „Aber ich werde mich mal wieder auf den Weg machen, dann kannst du dich in Ruhe einrichten. Wir sehen uns ja sowieso später wieder.“ „Oh, ja klar. Ich will dich nicht aufhalten“, antwortete die Blauhaarige, „Danke für deine Hilfe mit dem Koffer. Das war wirklich sehr nett gewesen. Wie kann ich mich denn bei dir erkenntlich zeigen?“ „Das brauchst du nicht“, winkte er ab und war kurz darauf mit einem „Tschüss, bis später“ wieder verschwunden.

 

Die Sonne war bereits fast untergegangen, als Rin viel zu spät am vereinbarten Treffpunkt erschien. Allerdings schien das nicht weiter schlimm zu sein, denn es war noch keiner der Jungs eingetroffen.

„Komisch. Ich dachte wir treffen uns am Eingang der Suzuki Akademie?“, sah sich die Blauhaarige um und entdeckte im selben Moment Akira von Weitem näherkommen.

Leicht außer Atem entschuldigte er sich: „Tut mir leid, dass ich zu spät bin.“ „Das macht nichts, ich bin auch eben erst gekommen“, wurde der Rothaarige von dem Mädchen schief angegrinst. „Hast du Kuro schon gesehen?“, fragte der junge Mann.

Als Antwort bekam er nur ein Kopfschütteln woraufhin er sein Smartphone zückte und eine Nummer wählte. Die Schülerin beobachtete wie er kurz darauf wieder das Handy vom Ohr nahm und mit den Schultern zuckte.

„Wahrscheinlich ist er noch in irgendwelche Arbeiten vertieft. Seit die Suzuki Akademie keinen Schulleiter mehr besitzt, hat Kuro doppelt so viel Arbeit“, betrat der Rotschopf das Gelände der Schule und machte sich mit dem Mädchen an seiner Seite auf zum Schulgebäude.

„Wie meinst du das?“, hakte Rin nach, „Erledigt der Kerl etwa die Aufgaben des Direktors?“ Angesprochener legte den Kopf schief: „Wusstest du das nicht? Immerhin hat er doch dein neues Stipendium bewilligt, oder?“ „Das würde einiges erklären“, grübelte sie, „Aber ich verstehe nicht wieso ausgerechnet irgendein Schüler plötzlich die Schule übernimmt. Das macht doch gar keinen Sinn.“ „Die Akademie gehört dem Suzuki Konzern. Da ist das doch nicht verwerflich, wenn Kuro die Leitung übernimmt“, verstand Akira die Unwissenheit des Mädchens nicht, „Er ist doch der Erbe der Firma.“ „Bitte was?!“, riss die Blauhaarige die Augen auf, blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihren Gesprächspartner an. „Wusstest du das nicht?“, sah der Schüler überrascht zu ihr herüber. Völlig von der Rolle stotterte sie daraufhin nur herum: „A-aber… W-warum…? Wo-woher willst du das wissen? Er heißt doch nicht mal Suzuki. Sein Name ist Kuroya Ayumu.“ „Ja, in der Grund- und Mittelschule nannte er sich so“, winkte der Rothaarige ab, „Aber das war von seinen Eltern als Tarnung arrangiert. Die wollten verhindern, dass er anders behandelt wird. In Wirklichkeit heißt er Ayumu Kuroya Suzuki. Mit der Zeit machte das aber dennoch die Runde und jeder wusste es. Du etwa nicht?“

Immer noch sprachlos starrte die Schülerin ihn an und wollte gar nicht so recht begreifen was sie soeben hörte. Noch nie hatte sie auch nur ein Sterbenswörtchen darüber gehört. Außerdem war es trotz allem unglaubwürdig, denn sie verstand rein gar nicht, wie der Erbe eines so wohlhabenden Konzerns ein solch schlechter Mensch sein konnte. Kuro nahm sein Umfeld nie wahr und wenn doch, dann nur um jeden und alles zu beleidigen oder seine schlechte Laune an jemandem auszulassen.

Im Unterricht war er auch oft nur am Schlafen und wenn nicht hat er geschwänzt. Wie konnte es also sein, dass so jemand zu einem reichen und schicken Konzern wie diesem gehörte?

„Komm, wir suchen ihn endlich“, machte sich der Rothaarige wieder auf den Weg Richtung Gebäude.

Dieses war schon so gut wie menschenleer, da es bereits recht spät war.

 

Nachdem die beiden im Schülerrat vergebens nach ihm Ausschau hielten, begaben sie sich schließlich auf den Weg zum Zimmer des Rektors. Dort fanden sie ihn dann tatsächlich vor. Allerdings anders als erwartet, denn er hatte seinen Kopf in seinen Armen auf dem Tisch vergraben und schlief friedlich über seinem Laptop.

„Das ist wieder so typisch“, schritt Akira lachend auf seinen Kumpel zu, „Hey Kuro, wach auf! Du hast unsere Verabredung verpennt!“

Erst durch das Rütteln des Rothaarigen wachte die Schlafmütze auf, streckte sich und gähnte währenddessen genüsslich.

„Wie wärs, wenn du nachts mal ein bisschen mehr schläfst?“, mahnte der junge Mann ihn, woraufhin er prompt eine pampige Antwort bekam: „Wie wäre es, wenn du mich nicht nervst. Du bist doch selbst nicht besser.“

Ein kurzer Blick des Schwarzhaarigen streifte seinen Laptop, woraufhin er jammernd die Hände über dem Kopf zusammenschlug: „Oh verdammt. Das muss heute noch fertig werden.“ „Dann machst du es eben danach. Kommt, wir gehen zum Schülerratszimmer“, drängelte Akira. Die Blauhaarige meldete sich nun auch zu Wort: „Denkst du nicht, dass wir auch diese Tür hier nehmen können? Der Schlüssel scheint ja angeblich in jedes Schloss zu passen.“ „Ja stimmt, da hast du recht. Es ist ja im Grunde egal welche Tür wir nehmen“, antwortete der Rothaarige. „Nein!“, stand plötzlich wie aus dem Nichts Skye in der Tür, „Es ist alles, nur nicht egal! Ihr müsst das Portal an einem verlassenen Ort öffnen. Und am besten nur bei öffentlichen Gebäuden und keinen Privathäusern. Wenn das auch nur irgendwer mitbekommt, haben wir ein Problem.“ „Wo kommst du denn schon wieder so plötzlich her?“, erntete der kleine Junge den verdatterten Blick Rins. „Ist doch scheißegal. Das Schulgebäude ist mittlerweile sowieso menschenleer“, meldete sich nun auch der Schwarzhaarige zu Wort, „Und selbst wenn, wo sollten wir dann deiner Meinung nach den Durchgang aufmachen?“ „Das weiß ich auch nicht, aber nicht hier“, verschränkte der kleine Mann die Arme.

Eine Zeitlang grübelten alle angestrengt darüber nach. Einzig Kuro schaute konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops und begann zu tippen.

„Wie wäre es mit der Einkaufsmeile. Das ist ein öffentlicher Ort“, schlug Akira vor. „Da sind doch viel zu viele Leute. Wir brauchen einen verlassenen öffentlichen Durchgang“, erklärte der Schwarz-blauhaarige erneut. Nun hatte auch das Mädchen eine Idee: „Und wie wäre es mit den Toiletten in der Einkaufsstraße? Die sind öffentlich und verlassen.“ „Du verstehst es nicht“, griff sich Skye genervt an die Stirn, „Dort sollen gar keine Leute hinkommen.“

„Der alte Geräteschuppen hinten am Sportplatz der Akademie ist öffentlich und keiner geht mehr rein, weil es einen neuen Großen gibt“, schaute Kuro nicht einmal von seinem Laptop auf. „Das nenne ich mal Multitasking“, klopfte der Rothaarige seinem Kumpel freudig auf den Rücken.

Kurz dachte Skye über den Vorschlag nach, ehe er schließlich zustimmte: „Das klingt gut. Lasst ihn uns mal ansehen.“ „Na dann verzieht euch endlich. Ich muss mich konzentrieren“, scheuchte der Suzuki-Erbe seinen Besuch unhöflich weg. Sein bester Kumpel hingegen war da anderer Meinung, nahm den Schwarzhaarigen in den Schwitzkasten und zog ihn vom Stuhl auf: „Du kommst gefälligst mit. Schon vergessen, dass das abgemacht war?“ „Ich habe aber keine Zeit, um auf Entdeckungstour mit euch Idioten zu gehen. Diese Unterlagen hier sind wichtiger“, befreite sich Kuro wieder und plumpste zurück auf seinen Stuhl. „Na dann verpasst du wohl etwas“, grinste der kleine Mann freudig, „Ich hab hier ein hochentwickeltes technologisches Gerät, welches einem das Leben sowohl auf dieser als auch auf der anderen Seite des Portals, erleichtert. Das kleine Wunderding hier projiziert interaktive Hologramme und kann sich mit vielerlei anderer Geräte koppeln. Es nennt sich Holographic Third Eye oder kurz HTE“

Leicht ungläubig sahen Akira und Kuro zu dem kleinen weißen Ding, welches der Junge siegessicher präsentierte. Die Blauhaarige blieb derweil eher unbeeindruckt, da sie bereits wusste was das Teil konnte.

„Jeder der mitkommt, bekommt eins. Man steckt es sich wie einen Ohrstöpsel ins Ohr und drückt dieses kleine Knöpfchen. Dann aktiviert es sich und der Spaß kann losgehen“, erklärte Skye. Auch die Schülerin meldete sich deswegen zu Wort: „Mir hat er auch schon ein Horo gegeben. Es ist wirklich ziemlich spaßig.“ „Horo?“, legte der Schwarz-blauhaarige den Kopf schief. Rin grinste daraufhin über das ganze Gesicht: „Ist einfacher zu merken und klingt viel besser als dein komischer und komplizierter Name.“

Während der Kleine noch mit der Umbenennung zurechtzukommen versuchte, forderte der Rothaarige sofort eines der Geräte und probierte es direkt aus. Seine Begeisterung beim Ausprobieren schien den Schwarzhaarigen von seiner Arbeit so dermaßen abzulenken, dass er die ganze Zeit nervös mit seinen Fingern auf dem Tisch herumtippelte.

Plötzlich war jedoch seine Geduld am Ende und er stand ruckartig auf, stemmte seine Arme auf den Tisch und schaute in die Runde: „Okay, ich komme mit. Aber nur, weil ich weiß, dass ihr Schwachmaten ohne mich nicht klarkommen würdet.“ „Was soll das denn bitte heißen?!“, platzte dem Mädchen daraufhin der Kragen, „Ich brauche deine Hilfe nicht du eingebildeter Idiot! Yoshida-kun und ich bekommen das auch alleine hin!“ „Bekommt ihr nicht“, warf der kleine Junge Rin einen kritischen Blick zu, ehe er auf den Suzuki-Erben zuging und ihm sein Horo überreichte.

„Okay, dann können wir ja jetzt endlich zum Schuppen!“, ignorierte selbst der Rothaarige den Wutausbruch der Schülerin.

 

Auf dem Weg dorthin trottete die Blauhaarige den Dreien genervt hinterher und kickte wütend immer wieder gegen ein kleines Steinchen. Natürlich verstand sie, dass Kuro gebraucht wurde, denn je mehr sie waren, umso besser. Aber es nervte sie, dass jeder seine eingebildete Aussage von eben einfach so hinnahm. Dadurch fühlte sie sich kleiner als sie war und das schmeckte ihr nicht. Sie wollte allen unbedingt beweisen, dass sie nicht auf diesen Blödmann angewiesen war und auch alleine super klarkam.

„Wow, das ist wirklich ein Schuppen“, staunte Akira nicht schlecht, als sie hinter Bäumen und Büschen vor dem alten Holzschuppen stehenblieben.

Er sah recht zerfallen aus und war wirklich klein. Rin vermutete ihn auf vielleicht grade mal fünf bis sechs Quadratmeter. Von innen war er stockduster, da er keine Fenster besaß. Aber so oder so wäre er dunkel gewesen, da die angebrachte Lampe schon lange nicht mehr zu funktionieren schien und es draußen mittlerweile auch schon dunkel war. Mit den Smartphones leuchteten die beiden jungen Männer in den alten Geräteschuppen hinein und man konnte eine dicke Staubschicht und einige Spinnenweben entdecken. Hier und da standen noch alte Sportgeräte herum, die keiner mehr zu brauchen schien. Ansonsten war dort nichts vorzufinden.

„Komm, gehen wir rein“, forderte Skye schließlich und der Rotschopf und das Mädchen folgten ihm wortlos. Einzig Kuro blieb angewidert davor stehen: „Das ist ja echt ekelhaft. Hätte ich gewusst, dass es in dieser Bruchbude mittlerweile so dreckig ist, hätte ich sie nicht vorgeschlagen.“ „Jetzt komm rein und heul nicht rum du Jammerlappen“, keifte die Blauhaarige ihn an.

Eine kleine Diskussion entstand mal wieder, welche von den Außenstehenden versucht wurde zu beenden. Schließlich drehte das Mädchen dann den goldenen Schlüssel im Schloss der zugezogenen Schuppentür von innen herum, wodurch plötzlich Licht durch die kleinen Löcher im Gebäude fiel. Vorsichtig lugte Rin durch einen kleinen Spalt der Tür und konnte erkennen, dass es tatsächlich helllichter Tag war.

„Das ist wirklich eigenartig. Wieso ist es hier schon wieder die gegenteilige Uhrzeit? Beim letzten Mal war es hier dunkel, als es in unserer Welt hell war“, stellte Akira fest. „Vielleicht ist das ja dann immer umgekehrt“, meinte die Blauhaarige. „Kann sein.“

Nachdem alle endlich den heruntergekommenen Schuppen verlassen hatten, stellen sie fest, dass sie dieses Mal keine Umhänge aufgezwungen bekamen. Auch eine weitere Veränderung konnten sie wahrnehmen: Sie erblickten plötzlich andere Schüler, welche etwas entfernter auf dem Sportplatz ihre Clubaktivitäten ausführten.

„Ich dachte hier gäbe es keine Menschen“, warf das Mädchen einen erstaunten Blick zu den gesichteten Schülern. „Scheinbar schon“, schien auch Kuro ein wenig verwirrt zu sein.

„Leute, schnappt euch lieber irgendwas zur Verteidigung. Wer weiß, ob und wann diese Feuershadows wieder auftauchen“, schwang der Rothaarige einen alten Baseballschläger, welchen er im Schuppen fand. „Gute Idee“, tat Rin es ihm gleich und kam mit einem abgenutzten Lacrosseschläger wieder aus dem Holzhäuschen heraus. Der Schwarzhaarige jedoch hielt es nicht für nötig sich auch etwas zu suchen und blieb stattdessen stehen: „Wer braucht schon solchen heruntergekommenen Müll?“ „Findest du nicht auch, dass es besser ist, wenn wir uns wehren können?“, hakte sein Kumpel nach. „Doch“, zückte Kuro aus seinen Hosentaschen zwei Softair Pistolen „Deswegen hab ich die hier mitgenommen.“ „Und du Skye?“, wandte sich das Mädchen zu dem kleinen Jungen, welcher ebenfalls keine Anstalten machte, sich zu bewegen, „Willst du dir nichts suchen?“ „Nein“, erwiderte er, „Lasst uns lieber endlich aufbrechen.“


Hoffe es hat euch gefallen >o</)

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