Kapitel 26 - Missglückter Hilferuf


Montag, 04.Mai 2015

 

Schweigsam saßen Rin und Amika in der Zentralbibliothek, während sie mit ihren Köpfen über den Büchern hingen. Ab und an kommunizierten sie miteinander, wenn der eine etwas nicht verstand.

Nach einer Weile unterbrach die Brünette jedoch mit einem tiefen Seufzer das Büffeln: „Ich kann mich einfach nicht richtig konzentrieren.“ „Warum denn das?“, schaute auch die Stipendiatin von den Büchern auf. „Ich muss die ganze Zeit an Akira denken“, erklärte die Oberschülerin bedrückt, „An dem Tag an dem wir drei zusammen gelernt haben, war doch etwas vorgefallen oder? Nachdem du abgehauen bist war er völlig eigenartig. Zuerst dachte ich, dass es daran liegt, dass er keine Lust aufs Lernen hatte. Aber mittlerweile bin ich anderer Meinung.“

Ein kurzes Schweigen brach aus, da Amika eine Reaktion ihrer besten Freundin erwartete. Diese allerdings blieb stumm.

Erneut musste die Brünette seufzen: „Am selben Tag habe ich ihm meine Liebe gestanden und einen Korb kassiert. Er hat gesagt er wäre schon seit langer Zeit einseitig verliebt.“ „Das tut mir echt leid“, senkte Rin ihren Blick und schaute zur Seite. „Sei ehrlich. Er hat dir schon vor längerem eine Liebeserklärung gemacht, oder?“, fiel Amika schließlich mit der Tür ins Haus. Ihre beste Freundin wusste nicht recht was sie sagen sollte: „Na ja, also…“

Wieder entwich der Brünetten ein schwerer Seufzer und sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Gedankenverloren starrte sie an die Decke: „Als ich es realisiert hatte, war ich zuerst total wütend. Ich habe mich gefragt warum du es mir nicht schon eher gesagt hast. Dann habe ich versucht zu verstehen warum du geschwiegen hast.“ „Es tut mir wirklich wahnsinnig leid!“, stammelte die Blauhaarige aufgebracht, „Ich wusste nicht wann ich dir das sagen sollte, weil ich Angst hatte dich zu verletzen. Außerdem wusste ich nicht mal, ob er es überhaupt ernst meint! All die Jahre hat er mich total verarscht und plötzlich haut er raus, dass er mich mag?! Wie soll ich so etwas glauben?!“

Ein lautes „Ruhe!“ durchflutete die Bibliothek und der böse Blick der Bibliothekarin fiel auf die beiden Oberschülerinnen. Diese zogen ertappt die Köpfe ein und rutschten näher aneinander.

„Du hättest es mir trotzdem sagen können“, flüsterte Amika, „Andererseits verstehe ich, dass du es mir nicht gesagt hast. Vermutlich hätte ich das auch so getan. Also habe ich keinen Grund sauer zu sein.“ „Wirklich?“, atmete die Stipendiatin auf. „Ja, wirklich. Aber mich würde mal interessieren, ob du ihm je eine ehrliche Antwort gegeben hast“, legte die Brünette den Kopf schief und sah ihre Freundin eindringlich an. Diese musste kurz überlegen: „Da ich es für einen schlechten Witz hielt und du mir dann auch noch gesagt hast, dass du ihn magst, steht die Antwort noch immer aus.“ „Irgendwie dachte ich mir das schon“, kannte sie das Mädchen bereits zu gut, „Was wirst du ihm antworten?“ „I-ich weiß nicht? Vielleicht gebe ich ihm einfach einen Korb oder so“, verfärbten sich Rins Wangen leicht rötlich. „Gibst du ihm einen Korb, weil du ihn nicht magst oder weil du Rücksicht auf mich nimmst?“, verschränkte die Oberschülerin ihre Arme.

Ertappt zuckte Rin zusammen und wusste nicht so recht was sie antworten sollte. Bisher hatte sie dieses Thema immer gekonnt ignoriert und gehofft, dass es sich irgendwann schon von selbst erledigen würde. Allerdings konnte sie auch nicht sagen, ob sie glücklich damit gewesen wäre, wenn ihre beste Freundin mit Akira zusammengekommen wäre. Ehrlichgesagt hatte sie noch gar nicht ernsthaft darüber nachgedacht.

„Hör mal, Rinacchi“, begann Amika ruhig, „Wenn du ihn magst, dann schnapp ihn dir. Und wenn nicht, dann sag es ihm. Er zappelt ja sicherlich schon eine ganze Weile. Du brauchst keine Rücksicht auf mich zu nehmen, ich komme schon klar. Ich suche mir einfach einen anderen gutaussehenden Kerl.“ „Dankeschön“, kam es von der Blauhaarigen und ein Lächeln huschte ihr über die Lippen.

Sie wusste zwar, dass ihre Freundin ziemlich deprimiert darüber war einen Korb erhalten zu haben, andererseits wollte sie ihr zuliebe endlich das Thema abschließen. Nun war es wirklich an der Zeit ernsthaft darüber nachzudenken welche Gefühle sie dem Rotschopf gegenüber hatte. Je eher sie die Antwort hinter sich brachte, umso besser für alle Beteiligten.

Während sie in ihren Gedanken versunken war, konnte sie einen kleinen blauen Schmetterling um die Brünette flattern sehen. Der Social Link mit ihr hatte sich wohl erweitert.

 

 

Mittwoch, 06.Mai 2015

 

Es war bereits gegen Nachmittag und Rin saß an ihrem Schreibtisch, um zu lernen. Allerdings starrte sie nicht in die Bücher, sondern gedankenverloren aus dem Fenster. Skye fläzte mal wieder in der Sitzecke und war mit seiner Spielekonsole beschäftigt, als die Blauhaarige einen tiefen Seufzer losließ.

„Was hast du denn?“, war der Grundschüler neugierig, „Du bist schon den ganzen Tag so nachdenklich. Ich dachte du wolltest für deine dummen Prüfungen lernen.“ „Die sind nicht dumm. Wenn ich durchfalle verliere ich mein Stipendium!“, erklärte das Mädchen, „Und warum lernst du eigentlich nicht?“ Der Schwarz-Blauhaarige rollte mit den Augen: „Diese Prüfungen interessieren mich nicht die Bohne. Das solltest du eigentlich wissen. Ich bin nicht hier, um die Schule zu meistern, sondern um die Welt zu retten. Meine Aufgabe ist es das Portal zu bewachen und dich auszubilden!“ „Das schon wieder?“, winkte die Stipendiatin genervt ab, „Du bist echt verstrahlt. Ami ist gerettet, der Spuk ist vorbei.“ „Wenn du meinst“, gab es der Jüngere auf.

Gespräche dieser Art, hatte er schon zur Genüge mit Rin geführt. Doch dank ihres Sturkopfes redete er leider gegen eine Wand. Wenigstens schaffte er es, sie regelmäßig zum Trainieren ihrer Fähigkeiten zu zwingen. Trotz allem waren leider noch keine brauchbaren Fortschritte zu erkennen.

„Und worüber denkst du nun so angestrengt nach, statt für deine geliebten Prüfungen zu lernen?“, hakte Skye nochmals nach. „Geliebt ist übertrieben“, fühlte sie sich veralbert, „Ich denke darüber nach, welche Antwort ich Yoshida-kun geben soll.“ „Worauf denn?“, verstand der Grundschüler nicht so recht.

Kurz überlegte die Blauhaarige, ob sie ihm noch mehr Details anvertrauen wollte, tat es aber dann doch: „Na auf sein Geständnis von neulich. Ich wurde mir jetzt erst bewusst, dass er es ernst meinte und eine ehrliche Antwort verdient hat. Bislang habe ich das alles für einen Scherz gehalten und bin schließlich auch noch weggelaufen, weil Ami ihr Glück bei ihm versuchen wollte.“ Skye schien zu verstehen und nickte: „Ach so, aber das ist doch nicht so schwer. Sag ihm einfach, dass du dich geschmeichelt fühlst, aber nicht mit ihm gehen kannst. Problem gelöst.“ „Eben nicht. Wer sagt, dass ich nicht vielleicht doch mit ihm zusammen sein will?“, stammelte sie hilflos, „Das muss ich erstmal herausfinden.“ Desinteressiert an Rins Ratlosigkeit richtete der Jüngere seinen Blick wieder auf sein Videospiel und meinte nur: „Du willst nicht mit ihm zusammen sein.“ „Sagt wer?“, war das Mädchen leicht zerknirscht.

Es ärgerte sie, dass sie ihm ihre Probleme schilderte und er diese einfach mal eben so abstempelte, als seien es nur irgendwelche Lappalien. Für sie war es von größter Bedeutung sich über ihre wahren Gefühle klarzuwerden. Akira hatte sich geändert und war definitiv nicht mehr dieser Unruhestifter, der sie immer ärgerte wo er nur konnte. Er war erwachsen geworden, übernahm Verantwortung und hatte ihr schon mehrfach geholfen in letzter Zeit. Es war schwer zu sagen, ob sie mehr für ihn fühlte oder nicht.

„Sage ich. Ihr passt nicht zusammen und du fühlst auch nichts für ihn“, kam es ernst und fast schon ein wenig genervt aus dem Schwarz-Blauhaarigen. „Ach ja?!“, regte sich Rin nun richtig auf, „Weil du ja auch so genau über meine Gefühle Bescheid weißt?! Das ist ganz allein meine Entscheidung, ob ich mit ihm gehen will oder nicht!“ „Nicht wenn du solch einen Schwachsinn entscheidest!“, war nun auch Skye sichtlich verärgert und stand von der Couch auf. „Das geht dich nichts an!“, brüllte die Blauhaarige ihn an. Wütend packte er seine Konsole in die Tasche und bewegte sich Richtung Fensterfront: „Und wie es mich was angeht!“

Schlussendlich verwandelte er sich in seine Vogelform und flog aus dem offenen Fenster davon. Zurück blieb eine wutentbrannte Oberschülerin, die absolut nicht verstand was sich der Kleine erlaubte in ihr Liebesleben reinzureden und ihr regelrecht zu befehlen was sie zu tun und zu lassen hatte. Warum sollte sie sich von einem kleinen Kind so etwas sagen lassen? Er hatte doch noch gar keine Ahnung von Beziehungen oder dergleichen.

 

Am Abend schnappte sich Rin ihre Unterlagen und machte sich auf den Weg zur ihrer Zimmernachbarin Ruri. Sie hatte ihr ja einige Tage zuvor versprochen beim Lernen zu helfen, wenn sie wieder von zu Hause da war.

Nachdem die Blauhaarige anklopfte machte ihre Klassenkameradin auch schon die Tür auf und empfing ihren Besuch freundlich: „Schön, dass du da bist Rin. Komm doch rein.“

Die Stipendiatin bedankte sich und kam herein. Wenig später waren die beiden in ihre Lernaufgaben vertieft, als plötzlich das Handy der Eisblauhaarigen klingelte. Auf dem Display konnte Rin das Bild eines blonden Mädchens sehen, welches ihr sehr bekannt vorkam. Allerdings kam sie nicht darauf, wo sie die Blonde schonmal gesehen hatte.

Entschuldigend für die Unterbrechung nahm die Schülersprecherin das Telefonat entgegen: „Hallo, was gibt’s denn?“ Nach einer kurzen Pause antwortete sie erneut: „Oh, wirklich? Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich das vergessen habe.“ Daraufhin lachte sie kurz und setzte fort: „Keine Sorge ich hole es beim nächsten Mal ab. Es ist nicht so wichtig.“

Kurz darauf beendete Ruri auch schon das Telefonat. Natürlich konnte sich ihre Lernpartnerin die Neugierde nicht verkneifen: „War das eine Freundin? Geht sie hier auch auf die Akademie?“ „Ja, das war meine beste Freundin. Sie wohnt leider in meiner Heimat, deswegen sehe ich sie nicht so oft“, erklärte die Schülersprecherin mit einem sanften Lächeln.

Bevor Rin allerdings weiterbohren konnte, lenkte die Eisblauhaarige das Thema wieder aufs Lernen.

 

Gähnend hingen die beiden Mädchen gegen 23 Uhr noch immer über den Büchern. Die Blauhaarige wollte schon längst aufhören, wurde aber von Ruri gedrängt weiterzumachen. Recht hatte sie, denn Rin war noch lange nicht bereit für die Prüfungen.

Die Schülersprecherin überkam jedoch wenig später die Müdigkeit und sie bettete ihren Kopf auf den Notizen. Selbst schon völlig übermüdet gähnte die Blauhaarige einmal herzhaft, drehte sich zu ihrer Lernpartnerin und rüttelte sie beleidigt an der Schulter: „He, du hast mir verboten Pause zu machen. Dann darfst du auch keine machen.“

Die erwartete Reaktion der Eisblauhaarigen blieb aus und so richtete Rin all ihre Aufmerksamkeit auf sie: „Ruri? Alles okay?“

Erneut versuchte sie sie wachzurütteln, als sie plötzlich ein wenig rutschte und zur Seite vom Stuhl kippte. Regungslos lag Ruri auf dem Boden. Selbst der Aufprall auf den harten Teppich brachte sie nicht ins Hier und Jetzt zurück.

„Ruri!!!“, rüttelte die Blauhaarige panisch wie eine Irre an ihr. So sehr sie es auch versuchte und es sich wünschte, kam die Schülersprecherin nicht mehr zu Bewusstsein.

„Was ist denn jetzt los?“, tropften der Oberschülerin Schweißperlen von der Stirn, „War sie zu müde von der Reise? Aber dann müsste sie doch trotzdem längst aufgewacht sein. Vielleicht ist es auch nur eine kleine Ohnmacht und sie wacht gleich wieder auf.“

Kurz prüfte die in Panik geratene, ob ihre Klassenkameradin überhaupt noch atmete. Obwohl die Tatsache, dass ein gesunder Mensch einfach tot umfällt ziemlich absurd wäre. Wobei es eigentlich auch schon eigenartig genug war, dass sie einfach so das Bewusstsein verloren hatte. Rin ahnte Schlimmes, wollte es aber partout nicht wahrhaben.

„Ich muss Hilfe holen“, kramte das Mädchen ihr Handy heraus, „Shit! Es ist schon wieder tot. Warum funktioniert das nie, wenn man es mal braucht?!“

Wutentbrannt schmiss sie das Mobiltelefon daraufhin gegen die nächste Wand, wo es in hundert Einzelteile zersprang. Anschließend kramte sie nach dem Smartphone der Ohnmächtigen. Als sie es endlich fand, musste sie feststellen, dass es ausgeschaltet war. Aber wie ging es wieder an? Das überforderte das Mädchen so dermaßen, dass sie es wieder bei Seite legte und aufsprang.

Vielleicht hatte sie Glück und sie konnte den Hausmeister oder die Rezeptionistin irgendwo auftreiben.

Wie von der Tarantel gestochen flitzte die Aufgebrachte die Treppen hinunter zum Empfang. Zu ihrem Leidwesen war dort leider keine Menschenseele. Scheinbar waren schon alle in ihren Betten. Auch im Speisesaal waren bereits alle Köche gegangen und keine Schüler weit und breit.

Nachdem Rin wie irre überall herumgesucht hatte, rannte sie in ihr Zimmer zurück. Vielleicht war Skye nun endlich wieder da und er wusste bestimmt was zu tun war.

Zu ihrer Enttäuschung war der Raum leider leer. Auch das sinnlose Rufen nach ihm brachte nichts. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen vor Verzweiflung. Was sollte sie bloß machen? Das Wohnheim war wie ausgestorben. Alle schliefen schon und sie hatte keine Möglichkeit Hilfe zu rufen.

Plötzlich entdeckte sie ihr Horo auf dem Schreibtisch und schnappte es sich in Windeseile. Obwohl es nicht mit einem Telefon gekoppelt war, konnte man mit der Kurzstreckenverbindung mit anderen Horos kommunizieren. Das war die Idee!

Schnell steckte sie es sich ans Ohr und versuchte damit ihren kleinen Freund zu erreichen, welcher vorhin davongeflogen war. Leider erfolglos, denn er nahm nicht ab. Auch versuchte sie es bei Akira und Amika, jedoch war zu den beiden die Verbindung viel zu weit. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als es schlussendlich bei Kuro zu versuchen.

Ungeduldig zappelte sie von einem Bein zum anderen, während das Gerät versuchte den Angerufenen zu erreichen. Das Signal ging sogar durch, allerdings nahm er den Anruf nicht entgegen.

„Verdammter Mist!“, fluchte die Blauhaarige lautstark und stampfte mit dem Fuß auf den Boden auf, „Was soll ich bloß machen?!“

Kaum hatte sie die Frage ausgestoßen, wurde sie plötzlich zurückgerufen. Es war Kuro, welcher sich ziemlich genervt meldete: „Was ist?“ „Sie ist umgekippt! Einfach so!“, rief Rin panisch und mit zittriger Stimme, „Ich bekomme sie nicht mehr aufgeweckt und ich habe kein Telefon, um den Krankenwagen zu rufen! Was, wenn sie eine schlimme Krankheit hat?! Was, wenn sie jetzt stirbt?! Was, wenn…“ „Beruhige dich!“, unterbrach der Schwarzhaarige die Panische mit lauter Stimme, „Wo bist du? Wer ist umgekippt?“ „Im Wohnheim! Ruri ist einfach vom Stuhl gefallen und wacht nicht mehr auf!“, kamen Rin beinahe schon die Tränen vor Verzweiflung. „Atmet sie noch?“, kam erneut eine Frage zurück. „J-Ja“, bebte die Stimme der Blauhaarigen, „V-Vorhin atmete sie noch.“ „Bist du nicht bei ihr? Geh wieder zu ihr! Ich rufe einen Notarzt!“, befahl der Suzuki-Erbe und legte anschließend auf.

Hilflos stand das Mädchen nun wieder alleine da und versuchte mit zittrigen Beinen ihr Zimmer zu verlassen. Kaum war sie aus diesem draußen, wollte sie in das Zimmer der Schulsprecherin abbiegen. Dort war allerdings schon ein kleiner Andrang von Schülerinnen, die scheinbar von Rins lauter Stimme geweckt worden waren. Eins der Mädchen telefonierte auch bereits mit dem Krankenwagen, während die anderen Ruri auf ihr Bett hoben und den Puls checkten. Daraufhin besprachen sie zwei der Mädels nach draußen zu schicken, um den Arzt direkt zu besagtem Zimmer zu führen. Diese rannten zügig an der Blauhaarigen vorbei, welche noch immer wie angewurzelt im Flur stand. Kaum waren diese verschwunden, kam eine weitere Schülerin mit der Hauskrankenschwester zurück. Diese sah sofort nach der Bewusstlosen.

Noch immer beobachtete Rin das Spektakel aus dem Flur. Sie konnte sich nicht bewegen. Eine unerklärliche Starre wurzelte sie am Boden fest, als plötzlich eine der Schülerinnen aus dem Zimmer kam und an sie herantrat: „Bist du diejenige, die bei ihr war als es passierte?“

Einzig ein zaghaftes Nicken brachte die Stipendiatin heraus.

„Was genau ist passiert?“, verschränkte die unbekannte Schülerin die Arme und sah Rin mit verärgerter Miene an, „Warum hast du nicht direkt einen Krankenwagen gerufen oder jemanden um Hilfe gebeten?“

Der Blick der Blauhaarigen wurde immer panischer und ihr Körper zitterte schlimmer als je zuvor. Sie schaffte es nicht eine Antwort zu geben. Ihre Lippen wollten sich nicht bewegen und ihre Gedanken waren völlig durcheinander.

„Wolltest du dich etwa einfach so verdrücken, ohne ihr zu helfen?“, wurden nun auch noch falsche Anschuldigungen hervorgebracht, „Hast du sie womöglich zu Boden geschlagen?!“

Kaum hatte die Schülerin zu ende gesprochen, packte sie Rin am Kragen.

„N-nein… i-ich…“, stotterte Beschuldigte. Doch sie durfte auch nicht vernünftig ausreden: „Na sag schon! Was hast du gegen die Schülersprecherin?!“

Ihr Griff verhärtete sich und es wurde von Mal zu Mal ungemütlicher.

Nun versammelten sich noch zwei weitere Mädels, welche ebenfalls Anschuldigungen entgegenbrachten: „Kannst du sie etwa nicht leiden, weil ihr euch so ähnlich seht?“ „Das ist aber kein Grund sie anzugreifen! Du solltest dich schämen! Mit so jemandem wie dir will ich nicht unter einem Dach wohnen!“, kam es von der anderen. „Scher dich zum Teufel!“, fluchte erstere.

Plötzlich senkte sich ein Arm zwischen Rin und ihrer Angreiferin: „Lass sie los.“

Erschrocken sahen alle zu neu Hinzugekommenem und als wäre es ein Zauberspruch gewesen, löste die Schülerin sofort ihren aggressiven Griff. Die Wut war verflogen und eine Mischung aus Erstaunen und Scham legte sich über die Mädchen.

Kein geringerer als Kuro stand soeben zwischen ihnen: „Hört mal, ich weiß nicht was hier los war, aber es ist kein guter Zeitpunkt einen Schuldigen zu suchen. Aikawa-chan hat direkt den Krankenwagen gerufen und auch mich informiert.“

Auf diese Aussage hin wich das Interesse an Rin und die drei verdrückten sich in den Raum zurück, um nach dem Zustand der Eisblauhaarigen zu sehen. Die zittrige Oberschülerin stand noch immer wie versteinert da und brachte weder ein Wort noch eine Bewegung heraus.

Gerade als Kuro sie ansprechen wollte, musste er für die Sanitäter zur Seite weichen. Die beiden Zurückgebliebenen beobachteten vom Flur aus, wie Ruri schließlich ins Krankenhaus abtransportiert wurde und sich die Aufregung langsam wieder legte.

Schlussendlich scheuchte die Schulkrankenschwester alle wieder zurück ins Bett, während Rin ins Zimmer der Schülersprecherin ging, um ihre Sachen zusammenzusuchen.

Nachdem alle weg waren, trat auch der Schwarzhaarige ein und schaute sich um. Abgesehen von den Büchern und dem zersplitterten Handy, konnte er nichts Spannendes entdecken.

„Ist alles okay?“, fragte er schließlich vorsichtig.

Eine Antwort blieb aus. Stattdessen häufte das Mädchen ihre Unterlagen mit zittrigen Händen aufeinander und setzte sich mit diesen in Bewegung. Sie wollte genau wie die anderen auch zurück in ihr eigenes Zimmer, jedoch machten ihr ihre Beine einen Strich durch die Rechnung. Kaum war sie zwei Schritte gegangen, knickte sie ein und sackte zusammen. All ihre Bücher und Hefte verteilten sich mit einem dumpfen Knall auf dem Boden, während sie sich versuchte mit den Händen abzustützen.

Kuro eilte sofort zu ihr herüber und setzte sich neben ihr in die Hocke. Vorsichtig packte er sie an den Schultern und versuchte sie wieder aufzurichten: „Geht’s dir gut? Kannst du wieder aufstehen?“

Wieder keine Antwort. Stattdessen begann die Blauhaarige jämmerlich zu weinen. Endlich war die Anspannung vorüber und ihre Gefühle sprudelten nur so heraus.

Mit einem leisen Schnauben umarmte er das Mädchen einfach wortlos und strich ihr über den Kopf. Sie erwiderte die Umarmung kurz darauf und weinte noch ein bisschen heftiger als sowieso schon. Wenige Minuten strichen ins Land ehe der Schwarzhaarige die Geduld verlor und sie vorsichtig versuchte wieder zu beruhigen: „Na komm, hör auf zu weinen. Das bringt doch nichts.“

Daraufhin versuchte er die Oberschülerin wieder auf die Beine zu bringen und reichte ihr ein Taschentuch. Während sie sich die laufende Nase putzte, sammelte der Ältere die verteilten Lernutensilien wieder ein. Diese brachte er anschließend in Rins Zimmer.

Bedröppelt folgte die Blauhaarige ihm wortlos.

„Geht’s dir nun besser?“, kam es mit einer Mischung aus Sorge und Genervtheit vom Suzuki-Erben.

Als Antwort bekam er nur ein zögerliches Nicken, woraufhin er erneut seufzen musste.

„Das hat doch keinen Sinn. Wenn ich jetzt gehe heulst du doch weiter, oder?“, war der Schwarzhaarige überaus scharfsinnig, „Pack dir ein paar Sachen zusammen und komm mit. Du kannst bei mir zu Hause übernachten. Skye ist auch da.“

Wieder blieb eine Antwort aus. Stattdessen stopfte Angesprochene ein paar Dinge in eine Tasche und trat zögerlich an den Wartenden heran: „D-Danke.“ „Sie kann sprechen“, applaudierte Kuro theatralisch.

Daraufhin erntete er einen leichten Schlag auf den Oberarm.

„Au! Was soll das?“, kam es ironisch aus dem jungen Mann.

Ein darauffolgendes freches Grinsen konnte er nicht unterbinden und die beiden machten sich auf den Weg zum Ausgang.

Unterdessen fand Rin endlich wieder ihre Stimme: „Du~?“ „Hm?“, antwortete der Ältere. „Kann ich doch das Handy haben?“, brachte sie hervor. „Ach, jetzt auf einmal?“, konnte er es sich nicht verkneifen, „Die ganze Zeit predige ich schon, dass du eins brauchst was funktioniert. Warum musste denn erst was passieren, bis du einsichtig wirst?“

Erneut erntete er einen Schlag auf den Oberarm und einen grummeligen Blick der Jüngeren. Sie blähte beleidigt ihre Wangen auf und ging einen Schritt schneller, um diesen rechthaberischen Blödmann nicht mehr ertragen zu müssen.

„Das alte Handy geht nun mal nicht mehr und da du ja noch eins rumliegen hast, kann ich das ja nehmen“, versuchte sie sinnlose Ausflüchte zu suchen. Kuro beschleunigte seinen Schritt nun ebenfalls und holte sie wieder ein: „Schmeißt du das dann auch gegen die Wand?“ „Halt die Klappe!“, keifte sie ihn an. „Na hör mal“, veralberte er sie weiter, „Ich muss das wissen. Das ist aus Versicherungsgründen sehr wichtig.“ „Ach ja? Letztens sagtest du noch, dass ich es erstatten muss und nicht die Versicherung“, streckte sie ihm die Zunge heraus. Daraufhin schnipste er ihr gegen die Stirn und grinste sie siegessicher an: „Na, wenn dir das lieber ist, dann machen wir es so.“ „Au!“, hielt sie sich die getroffene Stelle und keifte ihn an, „Du bist ein Idiot!“


Kommentare: 0