Kapitel 19 - Wie der Himmel so frei


Dienstag, 21. April 2015

 

 

Gerade noch pünktlich kam Rin im Schülerratszimmer an. Das Lacrosse Training ging heute etwas länger, weswegen sie sich schlussendlich abhetzte, um nicht zu spät bei Kuro zu erscheinen. Jedoch merkte sie schnell, dass dieser heute nicht beim Schülerrat war. Stattdessen blickte sie in die erschrockenen Augen Ruris, welche die Neuhinzugekommene anstarrte. Die Blauhaarige war mal wieder mit der Tür ins Haus gefallen, weswegen die Schülersprecherin ziemlich perplex dreinblickte. Noch ehe diese etwas sagen konnte, war Rin jedoch wieder aus dem Raum gestürzt und auf dem Weg zum Rektorat. Wenn der Suzuki-Erbe nicht hier war, dann eben dort.

 

Doch auch bei ihrer zweiten Anlaufstelle hatte sie kein Glück, denn das Zimmer war verschlossen.

 

„Wo ist der bloß?“, verschränkte das Mädchen ratlos die Arme und schlenderte nachdenklich durch den Flur.

 

Normalerweise war er immer irgendwo anzutreffen. War er mal weg, so hinterließ er wenigstens eine Nachricht oder rief sie an. Da die Blauhaarige allerdings ihr Handy verloren hatte, gestaltete sich das im Moment eher schwierig. Aber vielleicht würde sie ja Momiji finden oder eine andere Person, die ihr eine Auskunft über seinen Verbleib geben konnte. Das Eigenartige war nur, dass der Schwarzhaarige auch bereits am Morgen nicht im Unterricht war und Rin ihn generell noch nicht gesehen hatte. Er schien also noch gar nicht in der Schule gewesen zu sein.

 

 

 

„Habt ihr zufällig Momiji gesehen?“, fragte die Blauhaarige eine kleine Gruppe Oberschülerinnen, die soeben aus der 1C herauskamen. „Bist du nicht dieses ärmliche Ding das sich versklavt hat, um hier sein zu können?“, wurde sie von einem der Mädchen angewidert angesprochen. „Als ob ich mich versklaven lassen würde“, kam prompt eine Antwort auf die gehässigen Worte. Eine andere blickte ebenso arrogant zur Stipendiatin: „Was will eine vom niederen Volk bitte von einer wie uns? Kobayashi-chan will nichts mit dir zu tun haben.“ „Scher dich zum Teufel und versperre uns gefälligst nicht den Weg“, rempelte eine andere Rin an und bahnte sich damit einen Durchgang.

 

Die anderen Schnepfen folgten Vorangegangener, während sie die Blauhaarige einfach ignorierten. Diese fühlte sich so überrumpelt, dass ihr die Worte fehlten. Was bildeten die sich nur ein? Am liebsten wäre sie diesen Tussis hinterhergerannt und ins Gesicht gesprungen. Aber dieses Vorhaben wurde vereitelt, denn jemand zerrte sie plötzlich am Handgelenk mit sich. Es war keine geringere als Momiji, die die Gemobbte mit sich zog und erst stehenblieb, als sie in einer ruhigen Ecke waren. Zwar versuchte die Blauhaarige sie schon eher zum Stehen zu bewegen oder eine Antwort auf diese Reaktion zu bekommen, jedoch vergebens.

 

„Was ist denn nur los?“, kapierte Entführte nichts. Fast schon flüsternd entgegnete ihr die Blau-Grünhaarige: „Pscht. Kannst du in der Schule bitte so tun, als hätten wir nichts miteinander zu schaffen?“ „Hä?!“, entgegnete Rin irritiert, „Warum sollte ich so etwas Bescheuertes tun?! Ich verpfeif dich schon nicht. Dass du auch für Kuro arbeitest behalte ich für mich.“ „Nicht so laut“, legte Momiji ihren Zeigefinger auf die Lippen und sah sich verschreckt um.

 

Als sie niemanden in unmittelbarer Nähe entdeckte, atmete sie erleichtert aus.

 

„Ich kapier das nicht. Hast du Angst, dass deine Mitschüler fies zu dir sind, wenn sie das herausfinden?“, überlegte die Blauhaarige angestrengt, „Aber warum machst du es dann?“

 

Ihr Gegenüber blickte nur schweigend zur Seite. Es schien, als hätte Rin damit den Nagel auf den Kopf getroffen.

 

„Na von mir aus“, schnaubte das Mädchen, „Ich halte mich vor den anderen von dir fern. Auch wenn ich einfach nicht verstehe was daran so dermaßen uncool sein soll, wenn man sich anstrengt und was leistet. Wie soll man denn sonst zum großen Geld kommen? Diese neureichen Kinder, werden eh nie kapieren, dass Geld nicht vom Himmel regnet…“ Noch bevor Rin großartig weiter rummosern konnte, unterbrach die Jüngere sie: „Was wolltest du eigentlich von mir? Du hast mich ja gesucht.“ „Ach stimmt ja. Hast du Kuro irgendwo gesehen?“, war das Thema schnell gewechselt. Kurz überlegte Momiji: „Nein. Ich glaube, dass er heute noch gar nicht hier war. Mir hat er auch nur eine Nachricht geschrieben mit den Dingen, die ich heute erledigen sollte. Hat er dir nichts übermittelt?“ „Ich hab mein Handy verloren“, grinste die Blauhaarige schief, „Kann ich mir vielleicht mal deins ausleihen und ihn anrufen?“

 

Zustimmend nickte Gefragte und lieh ihr Smartphone kurz aus. Zwar hatte Rin kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt ihn einfach zu ignorieren und nach Hause zu gehen, allerdings wusste sie genau, dass ihr dann nichts Gutes blühen würde. Außerdem gab es da eine Sache, über die sie mit ihm reden wollte.

 

„Was gibt’s Momiji?“, ging der Suzuki-Erbe ans Telefon. „Ich bin’s. Wir müssen unbedingt reden“, meldete dich die Blauhaarige. „Schön, dass man dich auch mal erreicht! Komm endlich zum Suzuki Anwesen, du Schnarchnase!“, wurde sie sofort zusammengestaucht, „Warum zum Geier gehst du nicht an dein Handy?!“ „Musst du gleich wieder so ekelhaft sein?! Ich habe es verloren. Okay? Ver-lo-ren!“, schrie die Schülerin in das Drahtlosgerät. „Wieso wundert mich das nicht?“, kam es völlig unbeeindruckt zurück, „Dann kannst du dir ja nun endlich ein Smartphone zulegen und Line installieren. SMS sind sowas von ‚letztes Jahrhundert‘.“ Kurz atmete die Blauhaarige ein und sprach dann mit aufgesetztem Lächeln so ruhig sie konnte: „Und von welchem Geld soll ich mir sowas leisten?“ „Ist nicht mein Problem“, kam eine gleichgültige Retourkutsche. „Gut!“, brüllte das Mädchen nun wieder aggressiv ins Telefon, „Dann lebe ich für den Rest meines Lebens ohne Handy! Ich brauche das Ding eh nicht! Ist dann dein Pech, wenn du mich nie wieder erreichst, du Vollidiot!“

 

Damit legte Rin einfach auf. Vor Wut kochte sie schon wieder und hatte gar keine Lust mehr diesen Assistenzjob weiter auszuführen. Was erlaubte sich dieser reiche Schnösel nur immer?

 

„Warum streitest du dich schon wieder mit ihm?“, nahm Momiji irritiert ihr Mobiltelefon wieder entgegen. „Wie soll man sich denn mit dem nicht streiten?“, murrte die Blauhaarige, „Der ist so ein Arsch.“ „Ich habe ihn ehrlicherweise noch nie so erlebt wie mit dir“, kam es zögerlich von der Blau-Grünhaarigen. „Euer komischer Suzuki Prinz hat eine ziemlich dunkle und unfreundliche Seite. Warum die keiner erkennen kann verstehe ich aber auch nicht“, blies Rin beleidigt die Wangen auf.

 

Ihr Gegenüber schien ihre Aussage nicht wirklich zu verstehen. Schließlich war Kuro bislang immer höflich zu ihr. Zwar ab und an etwas kalt und wortkarg, aber nie unhöflich. Eigentlich hatte sie ihn bisher nur das eine Mal mit Rin streiten sehen und geradeeben am Telefon. Also musste es doch an der Blauhaarigen liegen, oder?

 

„Wie auch immer. Ich muss los“, verabschiedete sich die Verstimmte, „Danke fürs Ausleihen und keine Sorge. Ich halte mich an die Abmachung.“

 

Gerade als sich die Mädchen verabschiedeten, konnte Rin im Augenwinkel einen kleinen blauen Schmetterling um die Blau-Grünhaarige fliegen sehen. Ebenso erreichten vertraute Worte ihr Ohr: „I am thou. Thou art I.“

 

Wie es aussah, hatte sie erneut einen Social Link geknüpft. Auf halbem Weg sah sie auf ihrem Horo nach um welchen es sich handelte. Es war ‚XII. Hanged Man‘, der Gehängte.

 

 

 

Kurz machte Rin einen Zwischenstopp im Wohnheim, um ihre Schulsachen abzulegen. Dort meckerte sie Skye, den ewigen Stubenhocker, mal wieder an und bewegte ihn dazu das Sofa zu verlassen. Widerwillig machte er es sich als kleines Vögelchen auf der Schulter der Blauhaarigen bequem, welche sich endlich auf den Weg zum Suzuki Anwesen gemacht hatte.

 

Dort angekommen, wurde sie von Joel, dem Butler, in Empfang genommen und in das große Büro Kuros gebeten. Dieser hing unmotiviert vor seinem Computer herum und tippte irgendetwas Unverständliches ein. Ringsherum waren Berge von Papier. Und das nicht nur auf seinem eigenen Schreibtisch. Sämtliche Tische und sogar der Boden waren voll von Papierbergen, Aktenordnern, Hängeregistern, diversen Büchern und Krimskrams, der in irgendeiner Weise wichtig erschien. Auch einige Schränke und Schubladen standen einfach offen und man konnte ein heilloses Chaos darin entdecken.

 

„Wurde hier eingebrochen oder was ist hier passiert?!“, verwandelte sich Skye zurück in den kleinen Jungen und staunte nicht schlecht, „Vorgestern sah es in diesem Raum noch nicht halb so schlimm aus.“ „Nein. Lange Geschichte kurz: Rin, räum auf“, gähnte der Schwarzhaarige und starrte weiterhin auf den Bildschirm. „Tickst du noch ganz sauber? Ich hab keine Ahnung von dem Kram oder wo er hingehört“, fiel das Mädchen aus allen Wolken. Endlich sah der junge Mann vom Monitor auf: „Dann lerne es. Du hast bis Ende des Monats Zeit. Schaffst du es nicht, musst du eben deine Golden Week opfern. Die Arbeitszeit darfst du dir gerne selbst einteilen.“ „Du spinnst!“, meckerte die Oberschülerin, „Kannst du mir nicht wenigstens helfen? Ich habe absolut keine Ahnung von dem Kram. Alleine schaffe ich das niemals in so kurzer Zeit! Abgesehen davon sind kurz nach der Golden Week Prüfungen. Wann soll ich denn lernen?!“ „Dann schlage ich vor, dass du direkt anfängst!“, wurde nun auch der Schwarzhaarige wieder unleidlich, „Und ich warne dich. Alles was du zu Gesicht bekommst sind strenge Betriebsgeheimnisse. Wenn du es wagst auch nur irgendetwas davon auszuplaudern, dann bist du fällig!“ „Mir ist doch eh vollkommen egal was da für ein Mist drinsteht! Kann mir trotzdem irgendwer helfen?“, verschränkte das Mädchen die Arme. „Ich bezweifle, dass du jemanden findest der Zeit hat. Mein Personal läuft bereits auf Hochtouren und wird sich nicht auch noch um deine Lappalien kümmern können“, lehnte sich der Suzuki-Erbe im Stuhl zurück, „Shina wird dir auch nicht helfen können. Sie macht bereits schon einiges an Überstunden, obwohl sie wirklich effizient arbeitet.“

 

Als hätte man diese Ideen aus Rins Gesicht ablesen können, schlug der junge Mann dem Mädchen alles aus dem Kopf, was sie im Repertoire gehabt hätte. Dementsprechend stand sie wie angewurzelt da und starrte ungläubig Löcher in die Luft. Was sollte sie bloß tun? Kuro würde ihr niemals eine andere Aufgabe zuteilen und dieses Chaos jemand anderen beseitigen lassen. Sie kannte ihn. Er war genauso stur wie sie in solchen Dingen. Aber irgendetwas musste sie einfach dagegen tun. Sie konnte es sich doch nicht einfach gefallen lassen, dass er ihr die letzte Drecksarbeit aufbrummte. Machen musste sie diese, das begriff sie mittlerweile, denn das brachte der Job mit sich. Immerhin wollte sie ja auch ihr Stipendium behalten.

 

„Okay“, sammelte sich die Blauhaarige wieder und sprach mit fester Stimme, „Wenn ich es schaffe dieses Chaos bis Ende des Monats zu beseitigen, dann kümmerst du dich darum, dass dieser Stubenhocker hier zur Schule geht!“

 

Sie deutete auf Skye, welcher sich unbeteiligt im Raum umsah. Als er die Forderung hörte, zuckte er jedoch zusammen und begann zu protestieren: „Hey! So war das aber nicht abgemacht. Ich gehe nicht in die Schule! Abgesehen davon hab ich dir bereits gesagt, dass ich nur gehen würde, wenn du deine Kraft zu kontrollieren lernst.“ „Warum sollte ich auf eine Forderung eingehen, du Nervensäge? Es ist dein Job als meine Assistentin Aufträge für mich zu erledigen!“, hatte auch Kuro etwas einzuwenden.

 

Genervt von der Gesamtsituation versuchte die Blauhaarige dennoch den Kopf oben zu halten und ging erstmal auf die Widerworte des Jüngsten ein: „Was hältst du davon, wenn ich übe meine doofe Kraft unter Kontrolle zu bringen? Und dafür gehst du zur Schule?“ „Warum bist du da so versessen drauf?“, verschränkte der Kleine murrend die Arme. „Weil du den lieben langen Tag nur auf meinem Zimmer rumlungerst und Videospiele spielst! Das gehört sich für ein Kind deines Alters nicht“, meckerte sie ihn an. Nun mischte sich auch der Schwarzhaarige ein: „Wie kann das überhaupt sein, dass du auf keine Schule gehst? Und was sagen deine Eltern dazu, dass du die ganze Zeit bei der Nervensäge rumhängst?“ „Ich habe auch einen Namen!“, wechselte Rin das Thema. Die Jungs ignorierten sie allerdings und Skye gab dem Schwarzhaarigen eine Antwort: „Ich habe keine Eltern. Deswegen wohne ich bei Rin. Abgesehen davon bin ich der Portalwächter und brauche sowas banales wie Schule nicht.“

 

Kritisch wurde er daraufhin von den beiden Oberschülern gemustert. Auch, wenn sich Skye in einen Vogel verwandeln konnte, so war er dennoch ein Mensch. Eigenartige Kräfte hatten sie selbst auch. Das war also nichts sonderlich Außergewöhnliches. Warum nur tat der Kleine so, als sei er irgendetwas Wichtiges oder Sonderbares?

 

„Skye? Wie alt bist du?“, wurde er vom Suzuki-Erben ernst angesehen. Verwirrt stellte er eine Gegenfrage: „Was denkst du?“ „Zehn vielleicht?“, schätzte er. „Korrekt“, kam es zustimmend aus dem Schwarz-Blauhaarigen.

 

Es wirkte beinahe so, als hätte er Kuro nur recht gegeben, damit er nicht weiter bohrte.

 

„Dann wärst du ja jetzt in der fünften Klasse, nicht wahr?“, ließ der junge Mann nicht locker. „Wird wohl so sein“, zuckte der Jüngste mit den Achseln. Kurz machte der Schwarzhaarige eine Pause, ehe er erneut eine Frage stellte: „Erzähl doch mal. Bist du hier in Japan aufgewachsen, oder waren deine Eltern Ausländer? Du kannst mir nicht erzählen, dass du kein normaler Mensch bist.“ Leicht genervt von dem Gefrage des Schwarzhaarigen gab er Antwort: „Wozu willst du all das wissen? Ich bin Japaner, okay? Meine Eltern waren das auch. Aber egal was du mich noch alles ausfragst, ich werde nicht in die Schule gehen. Schon gar nicht in eine Grundschule mit solchen nervtötenden Gestalten!“

 

Man merkte richtig, wie sich der Kleine auf den Schlips getreten fühlte. Kuro ließ das eher unbeeindruckt, weshalb das Mädchen sich in die unangenehme Diskussion einklinkte: „Was soll das Kuro? Wieso bedrängst du ihn so? Merkst du nicht, dass du ihm Angst machst?!“ „Findest du es in Ordnung, dass ein kleines Kind ohne jegliche Führung durchs Leben stolpert? Wenn es jetzt keinen gibt der ordentlich für ihn sorgt und sich kümmert, dann wird er irgendwann sein Leben verbaut haben. Entweder wir fühlen ihm jetzt auf den Zahn oder wir stecken ihn ins Waisenhaus. Was ist dir lieber?“

 

„Jetzt hört doch mal. Ich brauche wirklich keine Schule oder sowas, denn ich habe mein Leben super im Griff. Meine einzige Aufgabe ist die des Portalwächters. Demnach bin ich dazu verpflichtet über Rin zu wachen“, versuchte der Kleinste zu den Oberschülern durchzudringen. „Spar dir deine Räuberpistolen. Dieses übernatürliche Phänomen ist eine ganz andere Geschichte“, näherte sich der Schwarzhaarige dem Kleinsten.

 

Vor ihm ging er in die Hocke und sah ihm ins Gesicht, während er weiter löcherte: „Wie ist dein Name?“ „Das weißt du doch!“, verschränkte er die Arme. „Komm schon. Du bist genauso wenig auf den Kopf gefallen wie ich. Das mag ich so an dir“, sah der Suzuki-Erbe ihn ernst an, „Wenn deine Eltern Japaner waren, dann geben sie dir nicht so einen abstrakten englischen Namen. Vermutlich heißt du eigentlich Sora oder irgend sowas.“

 

Während Kuro theatralisch herumfuchtelte, zog Skye plötzlich schreckhaft den Atem nach innen. Erschrocken weiteten sich seine Augen und er starrte wie versteinert den Schwarzhaarigen förmlich nieder. Als dieser seinen Blick bemerkte zuckte auch er zusammen und schaute ihn ungläubig an.

 

„I-ich hatte recht?!“, konnte Kuro nicht recht glauben was er soeben herausgefunden hatte.

 

Doch statt einer Antwort löste sich die Starre des Jüngsten und er schnellte plötzlich wie von der Tarantel gestochen zu Rin herüber und versteckte sich hinter ihr. Panisch krallte er seine Hand in ihr Oberteil und verkrampfte wieder.

 

„Das ist ein schöner Name. Er bedeutet ‚Himmel‘“, schweifte der Suzuki-Erbe ein wenig vom Thema ab, „Und der Horizont steht für grenzenlose Freiheit.“

 

„Man Kuro. Kannst du nicht mal etwas mehr Gefühl ihm gegenüber zeigen?“, unterbrach die Blauhaarige sein unangebrachtes Gesülze, „Obwohl er sich manchmal echt erwachsen benimmt, ist er trotzdem noch klein. Wieso ärgerst du ihn so dermaßen?“ „Fang nicht wieder damit an“, schnaubte der Suzuki-Erbe und kam auf die beiden zu.

 

„Sora-kun?“, hakte der Schwarzhaarige vorsichtig nach. „Ich bin Skye!“, kam es nur schnippisch mit bebender Stimme zurück.

 

Obwohl der Schwarz-Blauhaarige eigentlich immer so ernst und gefasst war, so war er dieses Mal völlig von der Rolle. Eigentlich konnte man nie erahnen wie er sich fühlte, oder was er dachte. Doch im Moment sah man deutlich, dass er sehr verschreckt und ängstlich war. Er hatte mittlerweile sogar Tränen in den Augen und zitterte leicht.

 

Natürlich bemerkte das auch Rin, weshalb sie sich behutsam umdrehte, in die Hocke ging und ihn umarmte: „Wer auch immer du bist. Für mich bist und bleibst du Skye, okay? Du brauchst keine Angst oder sonst irgendwas zu haben. Außerdem habe ich immer ein offenes Ohr für dich. Wir meinen es nur gut.“

 

Ratlos kratze sich Kuro am Hinterkopf. Man merkte, dass ihn die Situation etwas überforderte, weswegen er zurück zu seinem Schreibtisch ging und sich setzte.

 

Kurz tippte er etwas ein, dann meldete er sich wieder zu Wort: „Ich schreibe dich in der Suzuki Grundschule ein, Skye. Damit es keine Verwirrung gibt und keiner irgendwelche dummen Fragen stellt, bist du ab jetzt mein entfernter Verwandter Sora Suzuki. Alles klar? Ich vermute mal deinen richtigen Nachnamen wirst du mir eh nicht sagen wollen.“ „Kann er nicht mein kleiner Bruder sein? Ich wollte schon immer einen kleinen Bruder haben“, knuddelte Rin den Jüngsten aufgeregt.

 

Während sich Skye unfreiwillig dieser Knuddelattacke stellte, begann mal wieder eine Diskussion zwischen den beiden Oberschülern, welche sich nicht einig wurden. Der Schwarz-Blauhaarige musste daraufhin schmunzeln und schien alle seine Sorgen wieder vergessen zu haben.

 

Da sich die beiden Streithähne nicht einigen konnten, unterbrach der Jüngste amüsiert: „Ich will selbst aussuchen.“

 

Erwartungsvolle Blicke trafen den Kleinen daraufhin, welche ihn auf seine jeweilige Seite ziehen wollten. Spannung lag in der Luft, während er überlegte.

 

„Na komm schon. Sag“, hibbelte Rin ungeduldig herum. Kurz holte er Luft, dann grinste er die Blauhaarige an: „Ich werde Kuros Verwandter.“

 

Während Erwählter freudig grinste, jammerte die Blauhaarige gequält herum: „Das ist doch fies. Du wohnst bei mir und ich kümmere mich um dich. Außerdem hast du gesagt, dass du über mich wachst wegen dem Portaldings und dass du diesen Idioten nicht ausstehen kannst. Du Verräter.“

 

Beleidigt blies sie die Wangen auf und verschränkte ihre Arme.

 

Der Schwarzhaarige hingegen musste auf ihre Aussage hin erst mal kurz nachdenken. Was sollte das heißen, dass Skye ihn nicht ausstehen könne? Allerdings verwarf er diesen Gedanken schnell wieder, weil er besseres zu tun hatte und dieses Thema endlich abschließen wollte.

 

„Mir ist wirklich egal wen du mehr magst oder bei wem du wohnst. Trotzdem lasse ich ein Zimmer herrichten, in dem du dich gerne wie zu Hause fühlen kannst. Ich möchte nur, dass du dich ordentlich benimmst und zur Schule gehst wie jedes normale Kind“, kam es ernst aus dem Suzuki-Erben. „Kuro?“, legte der Kleine seine Arme verschränkt auf den Schreibtisch des Angesprochenen und sah zu diesem hoch. „Hm?“, war Angesprochener leicht geistesabwesend, da er mit den Schulunterlagen beschäftigt war. „Warum machst du das für ein unbekanntes Kind?“, fragte der Jüngste ernst. Daraufhin stoppte der Schwarzhaarige und sah Skye an: „Willst du lieber ins Waisenhaus?“

 

Angesprochener schüttelte vorsichtig den Kopf.

 

„Siehst du. Ich will das auch nicht“, erklärte Kuro sich, „Abgesehen davon hat jemand versprochen dieses Chaos hier bis Ende des Monats zu beseitigen, wenn ich dich auf der Schule anmelde. Ist doch eine super Motivation, oder?“

 

Frech grinste er Rin daraufhin an, welche nicht wusste, ob sie sich aufregen sollte oder nicht. Immerhin war es ihre Forderung gewesen, die ihr der reiche Schnösel tatsächlich schon im Voraus erfüllte.

 

„Eigentlich wirklich ganz cool“, grinste nun auch der Schwarz-Blauhaarige die Oberschülerin frech an, „Jetzt musst nur noch du dein Versprechen halten und dich endlich deiner Kraft stellen und sie zu kontrollieren lernen.“

 

Erst jetzt realisierte die Schülerin, dass sie sich mit ihrer Forderung eine doppelte Belastung ans Bein gebunden hatte. Einerseits das Versprechen an Skye, dass sie sich ihrer Kraft stellen würde und andererseits die Aufgabe, welche sie für den Suzuki-Erben im Austausch erledigen musste. Während sie langsam in leichte Verzweiflung verfiel konnte sie im Augenwinkel plötzlich einen kleinen blauen Schimmer in Skyes Nähe entdecken. Es war wieder einer dieser leuchtenden Schmetterlinge, die ihr verdeutlichten, dass sich der Social Link um den Kleinen erweitert hatte.

 

Noch bevor die Blauhaarige aber schließlich zu Jammern beginnen konnte, ergriff der Schwarzhaarige schon wieder das Wort: „Sie muss sich sowieso dem Wasser stellen und schwimmen lernen.“ „Warum sollte ich?“, weigerte sich das Mädchen noch immer. Kuro hingegen sah das Ganze etwas lockerer: „Aber du weißt schon noch, dass du ein Sportstipendium hast, oder? Wenn du jetzt auch noch im Sport schlecht bist, dann muss ich dir dein Stipendium aberkennen. Und wenn ich mich recht entsinne, dann ist Schwimmen definitiv eine Sportart. Durch Teilnahmeverweigerung handelst du dir in diesem Fach direkt null Punkte ein.“ „Das hat aber bisher nie gezählt!“, verfärbte sich das Gesicht der Schülerin kreidebleich, „Ich will und werde nicht schwimmen!“

 

„Ist mir egal. Du musst mit den Konsequenzen leben“, wechselte der Suzuki-Erbe völlig desinteressiert an den Sorgen der Blauhaarigen einfach das Thema „Was wolltest du eigentlich bereden? Du hast da vorhin am Telefon doch was erwähnt.“ Kurz musste die Oberschülerin überlegen was er meinte, als ihr der Geistesblitz kam: „2005!“

 

Irritiert verzog der Schwarzhaarige das Gesicht und sah sein Gegenüber kritisch an. Er musste nicht einmal Worte verwenden, um Rin auf die Palme zu bringen.

 

„Zieh nicht direkt so ein dummes Gesicht und lass es mich erklären du Blödian!“, blaffte die Blauhaarige ihn an. Im nächsten Augenblick zückte sie den goldenen Portalschlüssel hervor: „Weißt du was Skye gestern zu diesem Ding behauptet hat? Es soll angeblich ‚Timeless Key‘ heißen und Zeitreise-Portale öffnen.“ Nachdenklich fasste sich Kuro daraufhin ans Kinn: „Sowas in der Art habe ich tatsächlich schon in Betracht gezogen. Eigentlich klingt das auch gar nicht so abwegig, denn das abgebrannte Haus der Shioris war hinter dem Portal noch intakt. Es hätte zwar wirklich eine Parallelwelt sein können, aber das wirft wiederum erneute Fragen und Diskussionen auf. Demnach ist eine Zeitreise die einfachste Erklärung. Nach den ganzen Phänomenen erschüttert mich sowas nicht mehr.“

 

Mit offenem Mund starrte Rin den jungen Mann an. Sie hatte nicht erwartet, dass er so gefasst reagieren würde. Immerhin ist sie selbst nach dieser Erkenntnis aus allen Wolken gefallen. Sie hatte sich auch nie sonderlich viele Gedanken um die Welt hinter dem Portal gemacht, denn diese kreisten bis dato eher um ihre beste Freundin.

 

„Was hat das Ganze nun mit 2005 zu tun? Ich glaube nicht, dass wir so weit in der Zeit zurückgereist sind“, zog der Schwarzhaarige eine Braue hoch.

 

Da Rin nicht so recht wusste was sie ihm antworten sollte, haderte sie erstmal mit sich selbst und druckste nur unverständlich herum. Warum nur hatte sie das Jahr überhaupt erwähnt? Eigentlich wollte sie ihm nicht sagen, dass sie nochmal zurückgegangen war um ihr Handy zu suchen und dann zehn Jahre in der Vergangenheit ankam. Er würde sie sicherlich umbringen, wenn er herausfinden würde, dass sie ihr Telefon in der Vergangenheit verloren hatte. Eigentlich genügte es auch schon, dass sie unerlaubt den Schlüssel benutzt hatte.

 

Doch noch ehe sie sich eine sinnvolle Ausrede ausdenken konnte, hatte Skye sie schon verpetzt: „Sie hat ihr Handy in der Zeit verloren, wollte zurückkehren, um es zu holen und kam dann im Jahre 2005 an. Obwohl ich ihr gesagt habe, dass sie nicht durchs Portal gehen soll, weil das eh nichts mehr bringt. Man kann die Zeitreisen nicht vernünftig kontrollieren.“

 

Genervt wanderte Kuros Blick zu seiner Assistentin, ehe er sich an die Stirn griff und zur Tischplatte hinuntersah: „Ich finde langsam keine Worte mehr für deine grenzenlose Dämlichkeit.“

 

 

 


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